Elbenschswert
scheinbar unüberwindlichen Hindernissen.
Er spürte, dass er sich im gleichen Maße, in dem er sich
von Camelot und seiner gewohnten Umgebung in der er
aufgewachsen war und jeden Fußbreit Boden zu kennen
glaubte, entfernte, tiefer in eine andere, unheimliche Welt
hineinbewegte, eine Welt, die irgendwie jenseits der Wirklichkeit lag und den meisten anderen Menschen immer
verborgen blieb.
Es war ihm unmöglich, zu sagen, wie lange dieser Ritt
dauerte. Er war bereits zweimal in Malagon gewesen, der
schwarzen Festung des Bösen, die so weit im Norden des
Landes und in einem so unwegsamen Gebiet lag, dass die
allermeisten Menschen nicht einmal von seiner Existenz
wussten; auch wenn sich zahlreiche düstere Legenden und
schreckliche Geschichten um diesen Ort rankten, der aus
einer uralten, längst vergessenen Welt übrig geblieben war
und an dem böse Geister und Hexen ihr Unwesen treiben
sollten. Die beiden Male, die er zuvor hier gewesen war,
hatte die Reise Tage gedauert, und als er endlich wieder
aus dem Wald ritt und der steil ansteigende Felshügel mit
den bizarr geformten Türmen und Zinnen Malagons vor
ihm lag, da hatte er auch jetzt wieder das Gefühl, viele,
viele Stunden, wenn nicht Tage, im Sattel gesessen zu
haben. Zugleich aber spürte er auch, dass es nur wenige
Stunden gewesen sein konnten, vielleicht nicht einmal so
viel. Das Einhorn, das um die Dringlichkeit seiner Mission
wusste, hatte einen Weg durch die Schatten genommen,
der sich seinem Begreifen entzog und in dem die Zeitrechnung der Menschen keine große Bedeutung mehr hatte.
Die Sonne stand nicht mehr hoch am Himmel, sondern
berührte bereits die Baumwipfel im Westen und würde
kurze Zeit später mit dem Horizont hinter dem Wald verschmelzen. Artus’ Heer war jetzt sicher bereits auf dem
Weg. Auch wenn Lancelot noch nicht an vielen Schlachten teilgenommen hatte, so wusste er doch, dass Artus’
Truppen den Feind vermutlich zwei oder drei Stunden
nach Dunkelwerden angreifen würden, zu der Stunde, in
der die Männer ihr Lager aufgeschlagen, ihr Nachtmahl
eingenommen hatten und ihre Aufmerksamkeit mehr dem
Wein und der bevorstehenden letzten Nacht vor dem Angriff galt als der Sorge vor einem näher kommenden
Feind. Und wie um seinen düsteren Gedanken noch mehr
Nahrung zu geben, überzog das Licht der untergehenden
Sonne die Baumwipfel mit einem unheimlichen rötlichen
Schein, als wäre der Wald dort hinten mit Blut übergossen.
Während er das Einhorn langsam weiterlaufen ließ, löste
Lancelot Helm und Schild vom Sattelgurt, legte beides an
und streckte die Hand nach dem Schwert aus.
Der Griff schien ganz leicht unter seinen Fingern zu pulsieren, als spüre die Klinge, dass die Ruhezeit vorbei war
und sie nun bald wieder Blut zu trinken bekäme.
Aber vielleicht war es auch nur sein eigener Herzschlag,
den er fühlte. Er war nervös und hatte Angst, Angst um
Gwinneth, und dazu kam die Furcht vor dem, was vor ihm
lag. Vom Erfolg seiner Mission hing so unglaublich viel
ab. Längst nicht nur sein eigenes Schicksal und das von
Gwinneth, sondern vielleicht das ganz Britanniens, bestimmt aber das von Artus und seinen Getreuen.
Er verscheuchte diesen Gedanken und suchte aufmerksam die Silhouette Malagons ab. Die Zinnen und Türme
der Festung waren auf so bizarre Weise zusammengestürzt
und ausgebrochen, dass sie an Drachenzähne erinnerten
und es schier unmöglich war, zu sagen, ob dahinter vielleicht jemand stand, der auf ihn herabsah.
Dennoch spürte er, dass dieser Ort nicht so verlassen dalag wie die ersten beiden Male. Jemand – etwas – wartete
auf ihn.
Er ritt so nahe an den Berg heran, wie er nur konnte, ehe
er das Einhorn anhalten ließ und sich aus dem Sattel
schwang. Er verzichtete darauf, das Tier festzubinden.
Wenn das Einhorn auf ihn warten wollte, dann würde es
das tun, ganz egal, was geschah, und wenn nicht, würden
alle Ketten der Welt es nicht daran hindern, fortzulaufen.
Langsam ging er den steilen, mit Geröll und Steinschutt
übersäten Weg zum offen stehenden Tor der Festung hinauf. Auf halber Strecke hörte er ein Geräusch; vielleicht
nur das Kollern eines Steines, den er selbst losgetreten
hatte, oder den Flügelschlag eines Vogels im fernen Wald.
Dennoch blieb er stehen, legte erneut die Hand auf das
Schwert und zog es ein kleines Stück aus der Scheide,
führte die Bewegung aber nicht zu Ende, sondern suchte
stattdessen aus eng zusammengekniffenen Augen die
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