Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
massiven Block Marmor gehauen und über und über mit Figurinen, fast schon lebendig wirkenden Schlingpflanzen und Runen-Schnitzereien verziert. In der hohen Rückenlehne war das gleiche Emblem eingelassen, das Svenya auch auf ihrem Handrücken trug. Wenn Alberich Svenya hierher gebracht hatte, um sie zu beeindrucken, war ihm das redlich gelungen.
»Du solltest dich zuerst zu den Heilern begeben«, sagte Hagen, während sie den menschenleeren Raum durch das Hauptportal betraten.
Alberich blieb stehen und schaute seinen Sohn ernst an. Wie sie so voreinander standen, war die Ähnlichkeit zwischen den beiden unverkennbar: Alberich und Hagen waren sogar gleich groß und hatten den gleichen schlanken, aber athletischen Körperbau – breite Schultern und Brust, schmale Taille und Hüften, lange, kraftvolle Beine, nur dass Alberich jetzt ein klein wenig schmächtiger wirkte, weil sein Gewand lockerer fiel als zuvor. Das bedeutete, dass er vor dem Vorfall mit dem Beben Hagen an Statur sogar noch übertroffen haben musste.
Alberich deutete auf sein Gesicht. »Hierfür, Sohn, gibt es keine Heilung mehr«, sagte er ruhig, dann lächelte er plötzlich, und das erste Mal, seit er ihr begegnet war, fand Svenya ihn nicht mehr völlig unsympathisch. »Jetzt sehe ich auch für die Augen der Sterblichen aus wie dein Vater und nicht mehr wie dein älterer Bruder.« Alberich schaute in einen der vielen Spiegel, die auch hier überall aufgebaut waren. »Und ich finde, das neue Aussehen steht mir gar nicht einmal so schlecht.«
Er setzte seinen Weg fort und führte sie in die Mitte der Halle – genau unter das Zentrum der Kuppel. Er deutete hinauf, und Svenya konnte sehen, dass das Innere der Kuppel reich ausgemalt war. Es waren Gemälde von Schlachten. Schlachten zwischen Elben, riesenhaften Gestalten, Mannwölfen und vielen anderen monsterhaften Kreaturen, darunter auch gigantische Echsen, Spinnen und fledermausartige Wesen … und sogar Drachen. Auf einigen der Bilder erkannte Svenya Alberich und Hagen … und auch – stets auf der Gegenseite kämpfend – Laurin.
»Einst gab es einen gewaltigen Krieg zwischen Alfheim und Schwarzalfheim – zwischen Lichtelben und Dunkelelben«, begann Alberich zu erzählen. »Er tobte über viele Jahrhunderte, aber schließlich gewannen die Dunkelelben mit ihren Verbündeten aus Niflheim und Muspelheim die Oberhand und fielen in Alfheim ein. Sie eroberten und verwüsteten unser Land und drängten uns weiter und weiter zurück, so dass es schließlich keinen anderen Ausweg mehr für uns gab, als durch das Weltentor zwischen Alfheim und Midgard nach Midgard zu fliehen. Doch ehe es uns gelang, es zu schließen, um die Welt der Menschen vor den Dunklen Horden Schwarzalfheims zu beschützen, gelang es Laurin, dem Schwarzen Prinzen der Dunkelelben, mit seinem Bataillon, mit auf unsere Seite zu brechen.
Jetzt sitzt auch er hier gefangen. Er hat sich mit seiner Armee ganz in der Nähe, in der Festung Aarhain unter dem Erzgebirge, verschanzt und versucht immer wieder, das Tor, über das wir Elbenthal gebaut haben, zu öffnen, um seinen Brüdern den Weg zu bahnen nach Midgard. Seine Schar ist zu klein, um Elbenthal mit Gewalt zu erobern, aber groß genug, um Aarhain zu halten. Eine über 2000 Jahre alte Pattsituation und Bedrohung.«
»Über 2000 Jahre?«, fragte Svenya erstaunt. Das war eine verdammt lange Zeit! Und die beiden Männer, mit denen sie hier stand, waren dementsprechend noch viel älter?
Alberich zog warnend eine Augenbraue nach oben.
»Entschuldigung«, sagte sie und wartete darauf, dass er weitersprach.
»Ja, über 2000 Jahre halten wir diese Bastion jetzt schon«, sagte Alberich. »Wir verteidigen das Tor in beide Richtungen. Laurin halten wir davon ab, von hier aus dahin zu gelangen, und wir verhindern, dass weitere Kreaturen aus Alfheim, unserer alten Heimat, das Tor zur Erde passieren. Hin und wieder jedoch gelingt es einem dieser Monster nach hierher durchzubrechen oder sich auch zu schleichen, und es ist unsere Aufgabe, die Menschen vor ihnen zu bewahren, damit unsere Niederlage von damals nicht zu ihrem Verderben wird. Auf die Welt der Menschen aufzupassen, ist sozusagen der Preis, den wir seit über 2000 Jahren bezahlen dafür, dass wir hier Unterschlupf und Rettung vor der völligen Ausrottung gefunden haben.
Dementsprechend ist es auch die oberste Pflicht der Hüterin zu verhindern, dass einer unserer Feinde an die Oberfläche gelangt und die Menschen
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