Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
alles aushalten.«
Svenya funkelte ihn an – aber so richtig böse konnte sie ihm auch nicht sein. Ihre Erleichterung, dass Hagen nichts geschehen war und sie die Nachricht der Feinde jetzt in sicheren Händen wusste, war zu groß. Wargo zwinkerte ihr zu, rief Wolf und rannte davon in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Und wohin reiten wir?«, fragte sie Hagen und sprang hinter ihm auf Stjarns Rücken.
»Ich finde, du hast dir eine kleine Belohnung verdient«, sagte er kryptisch. »Und ich ein Bad.«
Damit gab er Stjarn die Sporen, und der Greif schoss in die Höhe. Hagen lenkte ihn in die Schlucht hinein.
»Aber das ist feindliches Terrain«, rief sie verwundert.
»Keine Sorge«, sagte er. »Nur ein paar Meilen. Selbst wenn sie uns entdecken – kein Tier ist so schnell wie Stjarn … außer deinem Begleiter. Der ist schneller. Aber nicht sehr viel.«
Svenya sprang sofort darauf an. »Mein Begleiter? Schneller als Stjarn? Was ist es denn für einer?«
Doch statt zu antworten, lachte Hagen nur.
24
Hagen lenkte den Greif noch einige wenige Minuten durch die Schlucht in Richtung Aarhain. Svenyas Schätzung zufolge hatten sie inzwischen die Region der Höhle unter den Ausläufern des Erzgebirges erreicht. Sie fragte sich, wohin er sie wohl brachte und was er mit der Belohnung gemeint haben mochte. Zweimal entdeckte der Elbengeneral dabei mit dem scharfen Blick seines einen Auges Späher Laurins auf ihren versteckten Posten zwischen den Felsen, ohne dass sie ihn bemerkten. Ihr wurde bewusst: Der Kampf und die Jagd waren das Handwerk, in dem Hagen ein Meister war.
Nach einer Weile nahm Svenya eine Veränderung in der Luft wahr. Es roch anders. Es war ein Duft, der ihr fremdartig erschien und doch zugleich auf seltsame Weise vertraut. Und dann erkannte sie ihn: Es war das Aroma von Laub, Moos und Gras. Es roch wie in einem Wald! Verwirrt schaute sie sich um – wie war es denn möglich, dass hier unten ein Wald wuchs? Sie konnte nicht einen einzigen Baum entdecken. Ihr Blick schweifte nach oben, und tatsächlich: An der Höhlendecke sah Svenya eine hellere Stelle – wesentlich heller als der Rest der Höhle. Hagen lenkte Stjarn genau dorthin. Gab es hier ein Lichtjuwel? Aber falls ja, was hatte es mit dem neuen, frischen Duft zu tun? Dann erkannte sie es: Die hellere Stelle war ein Loch im Himmel der Höhle. Hagen steuerte den Greif genau in dessen Zentrum. Senkrecht wie ein Helikopter beim Start stieg Stjarn etwa zwei Dutzend Meter nach oben durch einen Schacht, der wie ein riesiger Brunnen aussah. Schließlich erreichten sie dessen oberen Rand, und Svenya erblickte eine kleine Höhle, nicht viel größer als ihr Schlafzimmer in Elbenthal. Sie war nicht aus Tropfstein, wie die Höhle um die Festung herum, sondern aus Granit … und sie war nach einer Seite hin offen.
Svenya kniff die Lider zu engen Schlitzen zusammen. Seit Wochen hatte sie kein Tageslicht mehr gesehen, und ihre Augen waren empfindlich geworden. Gleichzeitig fühlte sich der Anblick der genau vor dem Höhlenausgang aufgehenden Sonne an wie ein Kuss auf das Herz, und Svenya merkte erst jetzt, wie sehr sie sie und ihr Licht vermisst hatte. Die morgendlich frische Waldluft schmeckte wie der köstlichste Honig, und ein Chor von Vögeln gab ein ganz zauberhaftes Konzert. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, lächelte Svenya und fühlte zugleich ein paar Tränen in ihren Augen aufsteigen.
»Ich dachte mir, dass dich das freuen würde«, sagte Hagen und führte Stjarn auf einen Platz zwischen dem Schacht und dem Ausgang. »Auch ich vermisse es, hier oben zu sein. Jeden einzelnen Tag. Fast so sehr wie mein altes Zuhause.« Er half ihr abzusteigen und führte sie nach draußen. Jetzt wurde es so hell, dass Svenya sich die Hand vor die Augen halten musste, weil die Strahlen sie so sehr blendeten. »Wir sind nun einmal Lichtelben, Svenya, und auch Jahrhunderte werden uns nicht an das Leben in einer Höhle gewöhnen. Wäre es nicht unsere Pflicht, das Tor zu bewachen, wären wir längst an einen anderen Ort gezogen. Dahin, wo es sonnig ist und unsere Kinder inmitten von Wäldern, Bächen und Auen aufwachsen können. Es gibt zwar immer weniger dieser Orte, aber es gibt sie.«
Noch nie hatte Svenya einen so dichten und gesunden Wald gesehen – dieser hier erschien ihr so viel prachtvoller und wilder als das bisschen Wald, das sie aus Dresden kannte. Hagen, noch immer blutverschmiert vom Kampf gegen den Wyrm, bildete in seiner
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