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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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und unter dem Glanz der Sterne, ist das Schattenland nah. Manchmal, wenn ihr blinzelt, könnt ihr es sehen, und sein Anblick raubt euch den Schlaf. Ihr spürt seinen kalten Atem in der Hitze des Sommers, der eisige Hauch legt sich wie feiner Nebel auf eure Sinne und lässt euch frösteln.
    Doch wer es sucht, weil seine Sinne sich verwirren und eine fremde Düsterkeit sein Gemüt verfinstert, die Sehnsucht nach dem kalten Land in sein Herz pflanzt, der wird es nicht finden. Das Schattenland, einen Atemhauch entfernt, flieht vor dem Suchenden und entzieht sich hohnlachend seinem Schritt.

6
    D as Anlegen der Prunkgewänder war sogar noch komplizierter, als Iviidis es in Erinnerung hatte. Sie zerrte ungeduldig an einem der Bänder, die sich über ihrer Brust kreuzten, um das Leinenmieder zu fixieren, und erwürgte sich beinahe damit. Sie hatte Zinaavijas Angebot ausgeschlagen, ihr die eigenen Zofen zu schicken, um ihr beim Ankleiden zu helfen, und das begann sie nun langsam zu bereuen.
    »Ich habe mich immer alleine angekleidet«, murmelte sie ergrimmt und löste einen Riemen wieder, den sie gerade um ihre Taille geschlungen hatte. »Ich bin nur ein bisschen aus der Übung.«
    Als das Unterkleid endlich zu ihrer leidlichen Zufriedenheit saß, sie nicht allzusehr einschnürte und ihr sogar noch ein wenig Platz zum Atmen ließ, hockte sie sich für einen kleinen Moment des Verschnaufens auf die Kante ihres niedrigen Bettes und starrte bedrückt auf den prachtvoll bestickten Berg an Stoffen, der sich neben ihr auftürmte. Als sie ihr Vaterhaus verließ, um mit Olkodan am Rand des Wandernden Hains zu leben, hatte sie sich geschworen, nie wieder einen Fuß in die Hohe Halle zu setzen, wenn der Hof dort zusammenkam. Sie hatte ihren Vater nach dem Tag ihrer Einführung bei Hofe mehrmals wöchentlich dorthin begeleitet und es jedes Mal gehasst. Bei ihrem Debüt war sie noch ein halbes Kind gewesen und hatte vor Spannung und Vorfreude gezittert – aber die schweren, erdrückenden Prunkgewänder, das endlose, ermüdende Zeremoniell, die Hitze, die vielen fremden Gesichter und Stimmen hatten schnell jede Freude über ihre offizielle Einführung in die Welt der Erwachsenen in ihr erstickt. Als junge Bewahrer-Novizin und später als Erste Assistentin des Obersten Tenttai gehörten die Termine bei Hof zu ihren Pflichten, und sie erfüllte sie mit all der eisernen Disziplin, die sie von ihrem Vater erlernt hatte. Aber die Erleichterung, die sie empfunden hatte, als sie an Olkodans Seite dem Sommerpalast den Rücken kehrte, war ungeheuer gewesen.
    Iviidis seufzte leise und griff nach dem schmucklosen, wadenlangen Gewand aus dunkelgelber Seide, das als erste Schicht der höfischen Gewandung über das leinene Unterkleid gezogen wurde. Sie schloss die Haken, die dankenswerterweise vorne angebracht waren, und sorgte dann mit der seitlichen Schnürung dafür, dass das Gewand sich eng an ihren Körper schmiegte. Die Schnürung der engen Ärmel zog sie mit den Zähnen zu und freute sich ein wenig darüber, dass ihre alte Geschicklichkeit langsam wiederkehrte.
    Jetzt kam das mantelähnliche, scharlachrote Übergewand. Sie ächzte leise, als sie es aufhob. Die schwere Seide war steif vor Gold- und Silberstickerei und knarrte beinahe, als Iviidis ihre Arme in die weiten Ärmel mit den breiten Überschlägen schob. Sie schlug die Vorderkanten des Gewandes weit übereinander und griff nach dem zwei Hand breiten gesteppten Gürtel. Iviidis stöhnte, als sie die geflochtene Seidenkordel verknotete und die Enden unter dem breiten Gürtel verstaute. Ab jetzt war es ihr nahezu unmöglich, sich zu bücken. Sie warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und stöhnte wieder, diesmal etwas lauter. Aus ihrer kunstvoll mit Federn und Bändern geschmückten Frisur hatten sich einige Haarsträhnen gelöst und kringelten sich höchst unzeremoniell auf dem hohen Kragen des Gewandes. Iviidis schob die bodenlang nachschleppenden Ärmel zu den Ellbogen empor und steckte die fahnenflüchtigen Strähnen kurzerhand mit einem juwelenbesetzen Kämmchen hoch. Mit ein bisschen Glück würde das als modische Extravaganz durchgehen.
    Sie beugte sich vor und prüfte die dunklen Striche um ihre Augen. Dann schürzte sie die Lippen und tupfte ein wenig neue rote Farbe auf eine verschmierte Stelle. Wenn es irgendetwas gab, was sie noch mehr verabscheute als die Hofkleidung, die wirksam verhinderte, dass man sich einigermaßen normal bewegen konnte, dann war es diese dicke

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