Elchmus (German Edition)
nachmachen. Der Eismann fährt schon lange nicht mehr durch die Siedlung. Wiederholungsgene haben somit keine Chance.
Ist nur noch 11 Meilen bis Harwich steht auf dem Schild. Bestimmt kann man in 11 Meilen noch auf andere Gedanken kommen und die Anspannung verlieren. Bestimmt kann man mindestens fünf Lieder auf 11 Meilen hören. Oder sogar sechs? Sein MP3-Player ist seit Waterloo weg. Im Radio spielt gerade was, was sich wie Udo Jürgens auf Englisch anhört. Wenn er seinen MP3-Player noch hätte, könnte er sich jetzt mit mindestens 500 geilen Songs seine Zeit vertreiben.
Ein Stein streift die Windschutzscheibe, prallt aber ohne Schaden anzurichten, wieder zurück in die Lüfte. Ein gutes Zeichen. Ist ja auch alles gut. Ralf fühlt sich trotzdem müde und ausgelaugt.
Er versucht die angespannte Stimmung zu kippen. Stadt-Land-Fluss soll dabei helfen. Ralf sagt A und Holger sagt gewusst Stopp. Buchstabe H. „Harwich“, sagt Ralf schnell. Ralf meinte mit H aber Hook von Holland und Momente später ist die angespannte Stimmung dann mehr als dahin. „Nur Mädchen haben früher Stadt-Land-Fluss gespielt und dann auch noch beschissen“, wirft Elke ein.
Völlig klar, dass Holger das nicht auf sich sitzen lässt. Sein Mund steht nicht mehr still. Elke kennt ihre Männer mittlerweile nun mal und lauscht dem Geplapper dankbar.
„Harry, fahr schon mal den Wagen vor“ , witzelt Holger als sie schließlich in den Fährhafen einfahren und ist sich sicher, dass der Mann in der gelben Sicherheitsweste diesen Satz auch auf Englisch nicht verstehen würde. Der große Kanarienvogel winkt sie auf die Fähre. „Hierüber“, winkt er mit den Armen. Ganz normal. Holt dann den nächsten in die Reihe und dann den übernächsten. Auf dieser Fähre sind keine Verbrecher.
Holger öffnet als erster die Tür und setzt einen Fuß aufs Boot. Er trägt keine Socken in den Sandalen und sieht trotz BVB-Shirt gut aus. „He ja BVB“, tanzt ihm sofort ein kleiner deutscher Junge entgegen. Sein Vater nickt Holger wissend zu. „Wir werden Meister“, soll das heißen.
Der Dampfer fährt mittlerweile. Es ist alles gut gegangen und dieser wird auch nicht untergehen. Das Leben ist wirklich zurzeit problemlos. Sie müssten eigentlich schlafen und tun dies daher auch. Denn ohne Probleme schläft man meistens bestens. Unter ihnen brummt der Motor. Holger spürt den Teppich unter sich vibrieren und fühlt sich auf einmal ganz klein, so ohne Schlafsack in der Mitte von Ralf und Elke. Wie ein kleiner Junge, der in die Runde aufgenommen wurde, weil er die Mutprobe an der Kanalbrücke bestanden hatte, das heißt von dort ins Wasser gesprungen war. Und kann jetzt noch fühlen, wie seine Eltern das Thema totgeschwiegen haben anstatt ihn zu bestrafen. Hätte eh nichts gebracht.
Genau wie die Bestechung mit der Dreifragezeichenkassette, die ihm seine Mutter am nächsten Tag aus der Stadt mit gebracht hatte. Er hätte die neue Folge eigentlich sofort hören wollen und müssen, aber dann wäre er ja freiwillig zu Hause geblieben und hätte damit seine Eltern erfreut.
In seinen Gedanken trällern Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews gerade wieder. Seit dem Sprung von der Kanalbrücke sind fast 20 Jahre vergangen. Seit der Entführung von Elke gerade Mal ein paar Wochen. Justus Jonas hat in Ralfs Leben fast 80 Mal erfolgreich ermittelt. Denn so groß war seine Kassettensammlung.
Jetzt, hier auf der Fähre, hat er endlich seine Angst abgelegt und der warme Atem von Elke und Ralf macht ihm klar, dass er sein altes beschissenes Leben schon lange verlassen hat.
60
............ Elke hat das Gefühl, dass es nicht gut laufen wird bei den Eltern. Weibliche Intuition. Und die ist fast immer richtig. Frauen sind halt die besten Interpretösen. Das weiß sie, auch wenn sie keine mehr sein will. Im Prinzip weiß sie schon, was die Eltern sagen. Bislang haben sie ja noch nie Verständnis gezeigt. Und schon hundertmal in Gedanken zu ihr gesagt: „Dann komm doch zurück nach Schapdetten“. Sie haben nichts dazugelernt.
Es wird kein Fehler sein, die zukünftigen Schwiegereltern zu belügen. Er ist ja auch kein Gangster. Nicht mal ein Möchtegern-Gangster. Er weiß das. Und Elke weiß das. Und er hatte sich das jetzt schon tausend Mal durch den Kopf gehen lassen. Und ist immer wieder zum selben Ergebnis gekommen: manch Mal muss man lügen.
Wenn ihr morgen alles auf den Keks geht, könnte sie ihrer Mutter erzählen, sie habe ihre Tage. Das Wort reicht,
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