Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
die Säuerlich sagt, Maya, bleib
gelassen. Lass dich bloß nicht provozieren. Die wartet darauf, dir eins
auszuwischen.«
»Schon gut, ich bin ganz ruhig.« Maya wirkte in
der Tat recht gefasst. »Aber … danke, Fiona.«
Sie räumten ihre Schultaschen ins Studierzimmer.
Qualle hatte sich so hingesetzt, dass sie an ihm vorbeimussten. Maya vermied
es, ihn anzuschauen. Sie wusste, dass er sein hämisches Grinsen aufgesetzt
hatte, als er ihnen »Viel Spaß« zuzischte.
Betont lässig schlenderte sie zu ihrem Fach und
legte ihre Tasche hinein. Larin sah sowieso so aus, als ob ihn das alles nichts
anginge.
Sie ging mit ihm zusammen zur Tür hinaus und die
Treppe hinunter.
›Zu zweit ist es nicht so schlimm‹, kam es ihr
plötzlich in den Sinn. Er schien es ähnlich zu sehen, denn er lächelte sie an.
Vielleicht war ihm die Säuerlich tatsächlich egal, überlegte Maya. Zumindest
war es das erste Lächeln von ihm seit Langem, und Maya erwiderte es froh.
Larin drückte den schweren Messingtürknauf
herunter, und sie traten ein. In Mayas Nase stieg wieder der unangenehme Geruch
abgestandener Luft, vermischt mit Möbelpolitur.
Frau Säuerlich thronte hinter ihrem ausladenden
Schreibtisch. Sie sah nicht auf, sondern schrieb mit kleinen steilen Buchstaben
etwas auf ein Blatt Papier. Das Kratzen des goldenen Füllers über die Seite war
das einzige Geräusch in dem Raum. Ein paar Minuten standen Maya und Larin
einfach nur da, ohne beachtet zu werden.
›Das macht sie absichtlich‹, begriff Maya, und
die Wut kochte in ihr hoch. ›Sie lässt sich Zeit, weil sie uns nervös machen
will.‹
Eigenartigerweise empfand Maya keine Angst.
Vielleicht war sie zu wütend dafür. Sie spürte Verachtung für diese herzlose
Frau. Was würde sie sich ausgedacht haben, um sie zu bestrafen? Wie viel
Vergnügen mochte es ihr wohl bereiten?
Frau Säuerlich blickte auf. Ihre Augen waren wie
eiskalter Stahl.
»Setzt euch«, wies sie Maya und Larin an. Sie
nahmen auf der anderen Seite des Schreibtisches auf zwei unbequemen Stühlen
Platz.
Frau Säuerlich rückte ihr Blatt auf dem Tisch
gerade und legte den Füller exakt parallel dazu ab. »In einer Einrichtung wie
dieser gibt es Regeln«, begann sie ihren Vortrag. »Sie sind unerlässlich für
einen reibungslosen Ablauf innerhalb der Gemeinschaft und immens wichtig, um
euch als Heranwachsende auf den richtigen Weg zu führen.«
›Regeln‹, fuhr Maya durch den Kopf, ›die sie aufstellt, wie es ihr gerade passt.
Sie will doch nur, dass wir Regel brechen, damit sie ihren Spaß hat, wenn sie
uns bestraft.‹
Maya hörte lediglich mit halbem Ohr zu.
»… Habt
ihr das verstanden? «
Maya zuckte zusammen und nickte automatisch.
Larin blickte ausdruckslos geradeaus. Er wirkte ein wenig gelangweilt.
Glücklicherweise kam Frau Säuerlich dieser Gedanke nicht.
»Deshalb schlage ich vor«, die Heimleiterin ließ
sich jedes Wort genüsslich auf der Zunge zergehen, »dass du, Maya, in deiner
freien Zeit darüber nachdenkst, wie notwendig die Einhaltung von Regeln ist.
Ich erwarte bis nächste Woche einen zehnseitigen Aufsatz darüber.
Selbstverständlich DIN A4-Format und keine zu große Schrift. Um dir
körperlichen Ausgleich zu verschaffen, wirst du die Parkwege vom alten Laub des
Vorjahres befreien. Ich werde das persönlich kontrollieren.« Sie zeigte ihr
falsches Lächeln.
»Du, Larin, hast nach wie vor etwas Schonfrist.
Du bist noch nicht lange bei uns, und ich werde berücksichtigen, dass Dr.
Laaber empfohlen hat, dir eine gewisse Zeit zur Eingewöhnung zuzugestehen. Aus
diesem Grund kommst du mit einer geringen Strafe davon. Du wirst die Fenster im
ersten Stock reinigen – selbstverständlich nicht im Schlafsaal der
Mädchen. Dort haben Jungen nichts verloren. Maya wird das für dich übernehmen.
– Gibt es noch irgendwelche Unklarheiten?«
Maya schüttelte den Kopf.
»Ich erwarte eine deutliche Antwort«, ließ Frau
Säuerlich in scharfem Ton verlauten. »Habt ihr alles verstanden?«
»Ja«, sagten Maya und Larin im Chor.
»Wie war es?«, wollte Fiona bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit von den beiden wissen. Maya und Larin hatten das
Mittagessen verpasst und trafen Fiona im Studierzimmer an.
»Gehen wir hier raus«, murmelte Maya, denn sie
hatte den Eindruck, dass sich etliche Paar Ohren zu ihnen hin ausrichteten. Max
heftete sich an ihre Fersen, als sie die Treppe hinunterliefen. Sie beschlossen
in den Garten zu gehen, weil man dort
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