Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
ihr heutiges
Abenteuer, und Waltraud tat ihm den Gefallen, selbst bei der sechsten Version
genauso aufmerksam zu lauschen wie beim ersten Mal, und an den passenden
Stellen »Oh, wie schrecklich!« und »Ach, wie furchtbar!« zu sagen. Sie hatte
die Geschichte zuvor von Larin gehört und sah noch immer etwas blass und
mitgenommen aus. Es war erstaunlich, wie gut Max es mittlerweile hinbekam,
gleichzeitig zu essen und zu reden. Für ihn, da er jetzt so behaglich und mit
Essen abgefüllt im sicheren Zimmer saß, war der Angriff inzwischen ein großes
Abenteuer, auf das er stolz war.
Maya hatte im ersten Moment vergessen, dass sie
sich eigentlich in dem Kleid unwohl fühlte, da sie so schrecklich hungrig
gewesen war. Doch als sich ihr Magen nicht mehr so leer anfühlte, fiel es ihr
wieder ein. Sie wurde abgelenkt, als Herr Bombus hereinflog, um einen Teil der
Speisen abzutragen, damit er den Nachtisch servieren konnte. Maya hatte ihn
seit dem Manöver mit dem Rosenkohl nicht mehr gesehen. Der Ärmste war recht
geknickt gewesen und hatte darauf bestanden, den Schaden sofort zu beheben,
indem er nach den einzelnen Rosenkohlröschen getaucht war. Mayas Augen wurden
größer und größer. Herrn Bombus’ Kopf zierten einige hängengebliebene
Kohlblättchen, und ab und zu blubberte ihm eine große Blase Badeschaum aus Mund
und Nase.
›Nur nicht hinsehen‹, dachte Maya. Sie wusste,
dass sie kurz davor war, sich vor Lachen auf den Boden zu werfen.
Hochkonzentriert vermied sie, Fiona anzublicken, denn wenn diese die
Beherrschung verlor, war es um ihre ebenfalls geschehen. Larin war auch keine
große Hilfe, denn Herr Bombus schwirrte gerade schäumend an ihm vorbei. Maya
sah Larins fassungsloses Gesicht. Sie schlug die Hände vor den Mund und biss
sich glucksend auf die Unterlippe.
»Maya?« Fiona hatte glücklicherweise nichts von
Herrn Bombus’ Schaumblasen bemerkt.
Maya japste und riss sich zusammen. »Ja?
Entschuldigung, was hast du gesagt?«
Als der Nachtisch verspeist war, bat Luna alle
Anwesenden ins Wohnzimmer. Sie ließ Larin, seine Pflegeeltern und ihre Söhne
auf den grünweißen Sesseln Platz nehmen. Maya, Fiona und Max standen erwartungsvoll
nebeneinander.
Luna trat zu ihnen und hielt plötzlich ein
silberdurchwirktes Kissen in ihrer linken Hand. Darauf lagen drei hölzerne
Stäbe.
»Fiona«, begann Luna mit ihrer sanften Stimme.
»Dein Stab aus dem Strauch der Hasel wurde heute zuerst geschnitten. Tritt
bitte vor.«
Fiona stellte sich vor Luna auf. Diese nahm mit
der rechten Hand den Haselstab und hielt ihn Fiona hin. Er war perfekt
gearbeitet, aber man konnte keine Schrift darauf erkennen, wie es bei Larins
Zauberstab der Fall war.
Luna nickte Fiona zu, und Fiona nahm ihn zögernd
entgegen. In dem Moment, als sie den Stab berührte, glühte er golden auf. Es
erschienen feine goldene Buchstaben in der Sprache und der Schrift der Elfen.
Fionas Name und Lunas Segenswunsch waren nun darin eingraviert. Fiona war
sprachlos. Ein wenig benommen ging sie in die Reihe zurück.
»Max, du erhältst nun deinen Stab aus dem Holz
des Eschenbaumes.«
Max hüpfte so schnell vor Luna hin, dass es
aussah, als fürchte er, jemand anders könne ihm den Stab vor der Nase
wegschnappen.
Luna hielt ihm den Stab hin, und er griff hastig
danach. Auch seiner begann zu glühen, und die goldenen Buchstaben erschienen.
Max strahlte Luna an und stellte sich glücklich neben Fiona.
Jetzt war Maya an der Reihe. Sie holte tief Luft
und trat entschlossen vor.
»Maya. Als ich den Stab für dich schnitt, trug
der Holunder Spuren des Elfenzaubers.«
Mayas Finger hatten den Stab kaum mit den
Fingerspitzen berührt, als er zu glühen begann. Zusätzlich erschien ein feines
Blattmuster, wie sie es bei keinem der anderen Stäbe gesehen hatte. Sie hielt
ihn fest und musste fast die Augen schließen, so hell erstrahlte er.
Als Maya zu den anderen ging, hatte sie immer
noch den Lichtschein vor Augen, obwohl er bereits erloschen war. Sie fühlte
ihre Hand kribbeln. Ihr Name stand nun ins Holz eingeritzt. Wie mochte wohl der
Segensspruch lauten?
Luna sah die drei ernst an. »Mein Geschenk kommt
von Herzen. Möge es euch schützen.«
Das Silberkissen war verschwunden. Luna lächelte
ihnen zu.
Mayas Herz tat einen Sprung. Sie besaß einen
richtigen Zauberstab! Glücklich drehte sie ihn in der Hand und betrachtete die
zierliche Schrift. Um sie herum entstand ein Stimmengewirr. Larin kam strahlend
auf sie zu.
»Schau, wie schön er aussieht!«
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