Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
zu dem Schluss, dass Maél ursprünglich nicht vorhatte, im Stall zu übernachten. Es war wohl eher ein spontaner Entschluss, den er entweder bereits bei Kyra oder erst unterwegs gefasst hatte, sonst hätte er niemals seine Sachen einfach so herumliegen lassen. Wo sie hinsah, lagen Dinge, die sie an Maél erinnerten. Und als ob das nicht schon genug war, hatte das Zimmer innerhalb der letzten beiden Tage sogar schon seinen typischen Geruch angenommen. Nein! Hier kann ich unmöglich bleiben! Er war hier in diesem kleinen Zimmer so präsent, dass sie die Trennung von ihm nur noch stärker empfand. Ein schmerzhaftes Ziehen machte sich in ihrer linken Brust bemerkbar. Sie ging zu dem Fenster und schaute hinaus. Nicht einmal dreißig Schritte von der Herberge entfernt befand sich der Stall. Die Versuchung, einfach zu ihm hinüber in den Stall zu gehen, wuchs mit Augenblick zu Augenblick. Und wenn er mich wieder wegschickt? Ich will mich doch nur zu ihm legen! Mehr erwarte ich doch gar nicht! Elea zögerte noch ein paar Atemzüge, dann ging sie eilig zu dem Schlaffell und ihrem Umhang. Als sie sich hinunterbeugte, um sie aufzuheben, sah sie etwas Haariges aus Maéls Satteltasche herausschauen. Das kann nicht sein! Sie griff danach und zog ihren abgeschnittenen Zopf aus der Tasche. Sie spürte schon den Ansatz von Wut in ihr aufkeimen, Wut darüber, dass er dieses Andenken an sie für ihre Familie einfach in jener Nacht mitgenommen hatte. Aber ein anderer Gedanke ließ diese Wut schnell wieder verebben. Wie es schien, hatte er ihn erst kürzlich in der Hand gehalten. Er sehnt sich genauso sehr nach mir, wie ich mich nach ihm. Aber warum hat er ihn damals, als er mich noch nicht kannte, überhaupt mitgenommen? Sie steckte den Zopf wieder in die Satteltasche zurück, hob Maéls Schlaffell und ihren Umhang auf und verließ eilig das Zimmer. Von unten drangen immer noch laute Stimmen und Gelächter nach oben. Sie stieg die Treppe hinunter und trat aus dem Haus in die dunkle Nacht hinaus. Sie rannte über den Hof zum Stall, vor der Tür blieb sie jedoch stehen und zögerte. Bei seinen guten Ohren hat er mich mit meinem Getrampel schon längst gehört. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und betrat den Stall. Bei dem bewölkten Abendhimmel und ohne Kerze oder Ähnliches konnte Elea kaum die Hand vor Augen erkennen. Sie horchte nach irgendwelchen Lauten, aber sie vernahm nicht das geringste Geräusch. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie klemmte sich Maéls Schlaffell und ihren Umhang unter den linken Arm und nahm sich mit der rechten Hand das Kopftuch ab. Das frisch gewaschene und von den Knoten befreite Haar viel ihr lang über die Schultern den Rücken hinunter - und das Wichtigste: es lecuhtete hell genug, um das Innenleben des Stalls zu erkennen. Sie befand sich in einem geräumigen Vorraum, in dem nicht nur alles Mögliche an Pferde- und Reitzubehör aufbewahrt, sondern der auch als Lagerraum genutzt wurde. Sie ging ein paar Schritte weiter geradeaus in Richtung der Unterstellplätze für die Pferde. Bei dem ersten angekommen, stellte sie fest, dass sie viel zu eng waren, als dass noch ein Mensch Platz hätte, sich dort mit seinem Pferd schlafen zu legen – schon gar nicht Maél bei seiner Größe, es sei denn, er würde auf Aroks Rücken schlafen. Elea drehte sich wieder um und ging ein paar Schritte zurück zu dem Vorraum. Jetzt erst bemerkte sie links von der Eingangstür in der Ecke einen Strohhaufen. Und an dessen Seite an der Wand, lässig angelehnt, saß er und hatte sie offensichtlich die ganze Zeit über beobachtet. Er war nur ein paar Schritte von ihr entfernt gewesen, als sie gerade eben noch suchend am Eingang stehen geblieben war, und hatte keinen Laut von sich gegeben. Wahrscheinlich hat er sich wieder köstlich über mich amüsiert! Sie ging langsam auf ihn zu. Und in der Tat hatte er ein belustigtes Lächeln auf den Lippen. „Wenn ich dir deine Haare abgeschnitten hätte, dann hättest du jetzt nicht genügend Licht gehabt, um mich zu finden.“
„ Sehr witzig! - Wo du gerade meine Haare erwähnst! Wie kommt mein abgeschnittener Zopf in deine Satteltasche?“, wollte sie in herausforderndem Ton wissen. Maél erhob sich langsam vom Boden und ging gemächlichen, fast lauernden Schrittes auf sie zu. Ihr fiel sofort eine Veränderung in seinem Verhalten auf. Eben noch war er so kurz angebunden und konnte mich nicht schnell genug verlassen. Und jetzt schleicht er an mich heran, als wäre ich seine Beute. Ich werde
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