Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
holte sie noch aus dem Geheimfach ihres Rucksack Maéls abgeschnittene Haarsträhne und roch daran. Sein typischer Duft weckte in ihr die schönsten Erinnerungen, aber ließ ihre Sehnsucht nach ihm auch ins Unerträgliche ansteigen. Rasch steckte sie die Haare wieder zurück, streifte die Stiefel mit fahrigen Bewegungen ab und legte sich unter die Felldecke. Es dauerte nicht lange, da kam der ersehnte Schlaf sie erlösen.
„ Elea, ich dachte schon, Ihr wärd ohnmächtig. Ihr seid gar nicht wach geworden, obwohl ich Euch schon die ganze Zeit mit Eurem Namen anspreche und wie verrückt an Eurer Schulter gerüttelt habe. Ihr habt wirklich einen gesunden und tiefen Schlaf, und das am helllichten Tage! Kommt! Steht auf! Draußen wartet jemand auf Euch.“ Elea sah mit noch verschlafenen Augen zur Tür hinüber, die nur leicht angelehnt war. „Wer soll schon auf mich warten, Belana? Hoffentlich nicht Darrach. Ihn kann ich heute nicht nochmal ertragen“, sagte sie mit müder Stimme. Sie hatte gerade ihren Oberkörper aufgerichtet und wollte ihre Beine aus dem Bett schwingen, als Belana plötzlich laut aufschrie. Nur einen Wimpernschlag später schaute ein erschrockenes Gesicht an der Tür vorbei ins Zimmer: Es war Finlay.
Ist es etwa schon Abend? Habe ich so lange geschlafen?
Elea war mit einem Schlag hellwach. Sie schaute zum Fenster. Das strahlende Blau war verschwunden; an seine Stelle war die abendliche Dunkelheit getreten. „Ist alles in Ordnung?“, wollte Finlay besorgt wissen. Elea blickte fragend in Belanas entsetztes Gesicht. „Belana, warum seht Ihr mich so an? Sind mir jetzt zu meinen Höckern auf dem Rücken etwa noch Drachenhörner gewachsen?“ Sie berührte ängstlich ihren Kopf und ließ erleichtert die Arme sinken, als sie keine ertasten konnte. Dann sah sie wieder zu Finlay hinüber, der sich ins Zimmer gewagt hatte und mit irritiertem Gesichtsausdruck seinen Blick von einer Frau zur anderen schweifen ließ. Endlich fand Belana wieder ihre Stimme. „Meine Güte! Die ganze Arbeit von heute Morgen war umsonst! Seht Euch nur Eure Frisur an!“ Elea sah zu Finlay hinüber, der verständnislos mit den Schultern zuckte, aber offensichtlich Mühe hatte, sich ein Lächeln zu verkneifen. Elea ging neugierig zu dem Spiegel auf der Frisierkommode und betrachtete ihr Spiegelbild. Belanas kunstvolle Frisur hatte sich mehr oder weniger in Wohlgefallen aufgelöst, sodass sie jetzt wie eine Vogelscheuche aussah. Sie warf Finlay einen bösen Blick zu und begann, rasch die vielen Nadeln, die schon den ganzen Tag auf ihrer Kopfhaut herumkratzten, aus ihren Haaren zu ziehen. „Was macht Ihr da, Elea?“, fragte Belana mit entsetzter Stimme. „Ich befreie mich endlich von diesen Folterwerkzeugen. Wie könnt Ihr diese Nadeln und dieses Ziehen bei jeder Kopfbewegung nur aushalten? Ich habe schon Kopfschmerzen davon.“ Belana schnaubte empört auf. „Wollt Ihr etwa mit offenem Haar vor den König treten?“
„ Warum denn nicht? Fällt er etwa tot um, wenn er mich so sieht? Genau genommen wären damit meine Probleme gelöst. Dann müsste ich nicht für ihn diesen Drachen suchen und reiten.“ Belana war über Eleas Scharfzüngigkeit sprachlos. Sie sah bestürzt zu Finlay, der aus vollem Halse lachte. „Also wenn der Abend so unterhaltsam weitergeht, wie er begonnen hat, dann wird es sich doch für mich lohnen, zusammen mit meinem Vater an einem Tisch zu sitzen.“
Kaum hatte Elea die letzte Nadel achtlos auf die Frisierkommode geworfen, schüttelte sie ihr langes Haar wild mit hinunter hängendem Kopf aus. Danach sah sie wieder in den Spiegel und seufzte laut, als sie die viel zu lange Mähne erblickte. Im Spiegel sah sie auch Finlay, dessen amüsiertes Lächeln aus dem Gesicht gewichen war und an dessen Stelle ein bewundernder, fast schon verlangender Blick getreten war, den er unverhohlen über ihren Körper gleiten ließ. Oh, nein! Jetzt habe ich mich schon wieder unbefangen und unschicklich verhalten. Das Blut schoss ihr in das Gesicht, was sie aber gekonnt überspielte. „Belana, ihr könnt mir schnell einen Zopf flechten, wenn sich das offene Haar vor dem König nicht schickt.“ Belana verrollte missbilligend die Augen und schnappte nach Luft, als wäre sie ein Fisch. „Einen Zopf soll ich Euch flechten, den jedes Bauernmädchen im Königreich trägt?! Setzt Euch! Ich werde schnell irgendetwas zaubern, damit der König nicht zu lange auf sein Abendessen warten muss“, sagte die Erste Hofdame immer
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