Electrica Lord des Lichts
Doktor bei Brüchen anlegt“, stellte sie fest. „Und heller.“
„Es sind in Gips getränkte Baumwollstreifen. Sean muss ihn aus den Höhlen geholt haben, das Gestein dort hat dieselbe weiße Farbe.“
„Sean hat das getan?“
„Ja. Zuerst war mir ein wenig mulmig zumute, als er anfing, den Gips über dem Feuer zu Brei zu kochen. Doch der Arzt war bei einer Entbindung, das hätte Stunden dauern können.“
Sue schüttelte ungläubig den Kopf. Sean konnte nicht mal die einfachsten Dinge allein erledigen und auf einmal sollte er in der Lage sein, einen Knochenbruch zu behandeln. Nicht nur das. Er hatte beherzt ihre Tante aus dem Schulhaus geholt und sie unbemerkt von allen Dorfbewohnern zur Schreinerei gebracht, um sie dort zu verstecken. Erstaunlicher Kerl.
Tante Meggie schien ihren skeptischen Gesichtsausdruck zu bemerken. „Du hättest mal sehen sollen, wie routiniert er gearbeitet hat. Man hätte denken können, er wäre ein völlig gesunder Mann. Sogar der Arzt war vom Resultat beeindruckt. Er verwendet nämlich noch die althergebrachte Methode aus Lehm oder Ton für Stützverbände.“
Das schelmische Zwinkern ihrer Tante löste eine Welle der Erleichterung in Sue aus. Sie würden beide ihr Schicksal bewältigen und wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken. Davon war sie überzeugt.
Der Alltag wollte sich nicht einstellen. Seit Wochen versuchte Sue, sich mit Schreiben oder Gesprächen mit Tante Meggie abzulenken. Doch ständig kreisten ihre Gedanken um Cayden und die vergangenen Ereignisse. Ihr Leben würde nie wieder so sein wie vorher. Ihr war klar geworden, dass Cayden sie hatte schützen wollen, indem er sie von sich stieß, wenn auch mit einer Überzeugungskraft, die keine Zweifel offen ließ. Aber es war Luthias, den er hatte täuschen müssen, nicht sie. Trotzdem zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, wenn sie an die Härte in seinem Gesicht dachte. Nach Luthias‘ Vernichtung schien er ihr zunächst wieder zugeneigt zu sein, bis er mal wieder spurlos verschwand.
Mit einem Seufzen legte Sue ihre beschriebenen Papiere in die Truhe an ihrem Bett.
Von Babuna wusste sie, dass er wieder im Schloss weilte. Inzwischen war über eine Woche vergangen, doch hatte er es bisweilen nicht für nötig gehalten, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Anscheinend irrte sich Tante Meggie mit ihren Trostversuchen. Cayden hatte sich von ihr abgewandt und vielleicht sollte sie versuchen, es zu akzeptieren. Wäre da nur nicht diese schmerzhafte Leere in ihrem Herzen. Sie vermisste ihn.
Gleichzeitig spürte sie einen Widerstand aufkeimen. Nach alledem, was sie gemeinsam erlebt hatten, konnte sie nicht einfach so zum normalen Tagesablauf übergehen. Himmel noch mal. Cayden sollte ihr gefälligst ins Gesicht sagen, wenn er sie nicht mehr wollte. So einfach sollte er ihr nicht davonkommen. Ihr Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken, etwas zu unternehmen, ihm gegenüberzutreten. Sie schob ihre Befürchtungen über eine möglicherweise ablehnende Reaktion von ihm beiseite. Was hatte sie zu verlieren? Was sollte schon schiefgehen? Schwungvoll schlug sie die Deckeltruhe zu und erschrak über das laute Geräusch.
„Alles in Ordnung bei dir, Kind?“, drang Meggies Stimme zu ihr herauf.
„Ja, mir ist nur der Deckel aus der Hand gefallen“, rief Sue.
Bevor sie der Mut verließ, griff sie nach ihrem Umhang und eilte die Treppe hinunter. „Ich sehe noch bei Sean nach dem Rechten“, sagte sie auf dem Weg hinaus.
„Aber es wird doch bald dunkel“, kam es von Tante Meggie zurück.
Eben drum, dachte Sue und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
Sean kam regelmäßig vorbei, um seinen Verband, wie er es nannte, zu kontrollieren. Immer wieder beeindruckte es Sue zutiefst, welche Veränderung in dem jungen Mann vorging, sobald er den Gips abtastete und heilende Kräuter mischte. Ihr Fragen nach Caydens Befinden hingegen beantwortete er mit den üblichen grotesken Gesten.
Die Schreinerei lag auf dem Weg zum Schloss, sodass sich Sue unterwegs immer noch entscheiden konnte, ob sie nach Sean oder Cayden sehen wollte. Mit vor der Brust verschränkten Armen eilte sie den gewundenen Weg entlang. Als sie in Richtung Schreinerei abbiegen wollte, vernahm sie aus der Ferne Hufgetrappel.
Die schwarze Kutsche raste so nah an ihr vorbei, dass sie beinahe in den Graben gestolpert wäre. Empört wandte sie sich um, einen Moment geneigt, einen unflätigen Ruf hinterherzuschicken, hielt aber inne, weil das Gefährt einige
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