Elefanten vergessen nicht
Elefantenjagd, falls das nicht nur so eine Redensart war.«
»Absolut nicht«, antwortete Mrs Oliver. »Ich habe wie eine Verrückte Elefanten gejagt, überall. Das viele Benzin, das ich verfahren habe, die Züge, in denen ich gesessen bin, die vielen Briefe, die ich schrieb, die Telegramme! Sie glauben nicht, wie anstrengend so eine Sache ist.«
»Dann ruhen Sie sich aus. Trinken Sie einen Kaffee.«
»Schönen, starken, schwarzen Kaffee – danke, gern. Genau, was ich brauche.«
»Haben Sie Erfolg gehabt, wenn man fragen darf?«
»Eine Menge«, erwiderte Mrs Oliver. »Die Frage ist nur, ob es etwas taugt.«
»Sie haben Tatsachen herausgekriegt?«
»Nein. Eigentlich nicht. Ich habe von Dingen gehört, die mir die Leute als Tatsachen erzählten, aber ich bezweifle sehr, ob es alles wirklich Tatsachen sind.«
»Also alles nur vom Hörensagen?«
»Nein. Es kam, wie ich vermutet hatte. Es waren Erinnerungen. Ein Haufen Leute, die sich erinnerten. Die Sache ist nur die, dass man sich, wenn man sich erinnert, nicht immer richtig erinnert, nicht wahr?«
»Ja. Aber man könnte es doch immerhin als einen Erfolg bezeichnen, meinen Sie nicht?«
»Und was haben Sie gemacht?«, fragte Mrs Oliver.
»Sie sind immer so direkt, Madame«, antwortete Poirot. »Sie verlangen von mir, dass ich herumrenne und was unternehme.«
»Also, sind Sie herumgerannt?«
»Nein, aber ich hatte Besprechungen mit ein paar Kollegen.«
»Das klingt viel friedlicher als meine Abenteuer«, sagte Mrs Oliver. »Ach, ist der Kaffee gut. Schön stark. Sie glauben nicht, wie müde ich bin. Und wie durcheinander.«
»Na, na. Wir wollen das Beste hoffen. Sie haben etwas erreicht. Ich bin überzeugt.«
»Ich habe einen Haufen Meinungen und Geschichten gehört. Ich weiß nicht, ob was Wahres dran ist.«
»Vielleicht sind sie nicht wahr, aber nützlich«, bemerkte Poirot.
»Ich weiß schon, was Sie meinen«, antwortete Mrs Oliver. »Ich glaube das auch. Aber wenn Leute von der Vergangenheit erzählen, dann berichten sie oft nicht, was wirklich passiert ist, sondern bilden sich nur ein, dass es so passiert ist.«
»Aber sie müssen doch etwas haben, wovon sie ausgehen«, erklärte Poirot.
»Ich hab Ihnen eine Liste gemacht«, sagte Mrs Oliver. »Ich brauche nicht ins Detail zu gehen, wo ich überall war oder was ich wen fragte; ich war auf Informationen scharf, die man vielleicht nicht von jedem Beliebigen bekommt. Sie stammen alle von Leuten, die über die Ravenscrofts etwas Bescheid wussten, auch wenn sie sie persönlich nicht sehr gut kannten.«
»Informationen aus fremden Ländern, meinen Sie?«
»Ziemlich viele. Und von Leuten, die die Ravenscrofts hier oberflächlich kannten oder deren Tanten, Vettern oder Freunde sie vor langer Zeit gekannt hatten.«
»Und jeder, dessen Namen Sie notierten, hatte etwas zu berichten, das sich auf die Tragödie oder die daran Beteiligten bezog.«
»So ist es«, sagte Mrs Oliver. »Soll ich’s Ihnen kurz erzählen?«
»Ja. Nehmen Sie doch von den Petits Fours.«
»Danke.« Mrs Oliver nahm ein besonders süß und gallenfeindlich aussehendes Stück und kaute energisch.
»Süßigkeiten«, sagte sie, »geben einem eine Menge Kraft und Vitalität, finde ich. Tja, also, ich habe folgende Anhaltspunkte… Die Leute fingen ihre Erzählung gewöhnlich immer an mit einem ›O ja, natürlich!‹ oder ›Wie traurig das war, die ganze Geschichte!‹ oder ›Natürlich, alle wissen doch, was passiert ist!‹«
»Ja.«
»Also: Die Leute glauben alle zu wissen, was geschah. Aber einen wirklich triftigen Grund haben sie dafür nicht. Jemand hat ihnen etwas erzählt, Freunde oder das Personal oder so. Natürlich waren alle Hinweise so, dass sie zutreffen konnten. General Ravenscroft soll seine Memoiren über seine Zeit in Indien geschrieben und eine junge Frau als Sekretärin eingestellt haben, der er diktierte. Sie war hübsch, zwischen ihnen soll etwas gewesen sein. Man glaubt, dass er seine Frau erschoss, weil er dieses Mädchen heiraten wollte, und danach so entsetzt über seine Tat war, dass er sich selbst umbrachte…«
»Also«, warf Poirot ein, »eine romantische Erklärung.«
»Andererseits wohnte ein Privatlehrer im Haus, der dem Jungen, der krank gewesen und sechs Monate der Schule ferngeblieben war, Unterricht erteilte – ein gut aussehender junger Mann.«
»Aha. Und die Frau verliebte sich in den jungen Mann und hatte eine Affäre mit ihm?«
»Auch das vermutete man«, antwortete Mrs Oliver.
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