Elefanten vergessen nicht
von einem Kind, das ermordet wurde, möglicherweise von Lady Ravenscrofts Zwillingsschwester. Möglicherweise auch von einer völlig anderen Frau – einer Amme oder einem Dienstboten. Zu Punkt zwei: Wir wissen ein bisschen mehr über Geld.«
»Wieso kommt jetzt Geld ins Spiel?«, fragte Mrs Oliver überrascht.
»Das ist ja das Interessante. Geld spielt meistens eine Rolle. Ob es jemand durch diesen Selbstmord erbte oder eben nicht erbte. Geld bringt Schwierigkeiten, Unruhe, Habgier und so weiter. Aber in diesem Fall scheint es überhaupt nicht um Geld gegangen zu sein! Dann sind da noch die verschiedenen Geschichten über Liebesaffären, entweder der Ehefrau oder des Ehemannes. Sie könnten einen Selbstmord oder Mord ausgelöst haben. Das passiert häufig. Und dann kommen wir zu dem Punkt, der mich im Augenblick am meisten interessiert. Deshalb möchte ich Mrs Burton-Cox so dringend sprechen.«
»Ach, diese schreckliche Person. Ich begreife nicht, wieso Sie sie für wichtig halten. Sie hat bloß in alles ihre neugierige Nase gesteckt und will, dass ich für sie die Wahrheit herausfinde.«
»Ja. Aber warum will sie das denn? Dieser Punkt kommt mir höchst seltsam vor. Meiner Meinung nach muss man die Ursache herausfinden. Sie ist das Verbindungsglied, wissen Sie.«
»Das Verbindungsglied?«
»Ja. Wir wissen nicht, was das für eine Verbindung ist, wo und wie sie besteht. Wir wissen nur, dass sie unbedingt mehr über den Selbstmord herausbringen möchte. Sie ist das Verbindungsglied zwischen Ihrer Patentochter Celia und dem Sohn, der nicht ihr eigener ist.«
»Was wollen Sie damit sagen – nicht ihr eigener?«
»Sie hat ihn adoptiert«, antwortete Poirot. »Weil ihr eigener Sohn starb.«
»Wie ist er gestorben? Warum? Wann?«
»Alle diese Fragen habe ich mir schon selbst gestellt. Sie könnte die Verbindung sein… Es kann eine gefühlsmäßige Bindung bestehen, ein Wunsch nach Vergeltung, es kann Hass dahinterstecken oder irgendeine Liebesaffäre. Jedenfalls muss ich sie kennen lernen. Ich muss mir ein Urteil machen können. Ja! Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist.«
Es läutete an der Haustür, und Mrs Oliver stand auf, um zu öffnen.
»Das könnte Celia sein«, rief sie im Gehen. »Sind Sie sicher, dass es so in Ordnung ist?«
»Was mich betrifft, ja«, sagte Poirot. »Und was Celia betrifft, hoffentlich auch.«
Ein paar Minuten später kam Mrs Oliver mit Celia Ravenscroft zurück. Celia sah etwas zweifelnd, ja misstrauisch drein. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie, »ob ich…« Sie schwieg und starrte Hercule Poirot an.
»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagte Mrs Oliver, »der mir eine große Hilfe ist und, wie ich hoffe, auch dir. Dies ist Monsieur Hercule Poirot, ein Genie auf dem Gebiet der Kriminalistik.«
»Oh«, sagte Celia.
Zweifelnd beäugte sie die kleine Gestalt mit dem eiförmigen Kopf und dem gewaltigen Schnurrbart.
»Ich glaube«, sagte sie zögernd, »dass ich schon von ihm gehört habe.«
Hercule Poirot konnte sich gerade noch zurückhalten. Sonst hätte er gesagt: »Die meisten Leute haben schon von mir gehört.« Obwohl es jetzt nicht mehr ganz zutraf, da viele Leute, die von ihm gehört oder ihn gekannt hatten, nun unter einem Grabstein auf dem Friedhof ruhten.
»Setzen Sie sich, Mademoiselle!«, sagte er nur. »Ich will Ihnen eines verraten: Wenn ich eine Untersuchung anfange, führe ich sie bis zum Ende durch. Ich werde die Wahrheit ans Licht befördern, und wenn es wirklich die Wahrheit ist, die Sie wissen wollen, dann werde ich sie herausbringen. Aber es könnte sein, dass Sie nur Beruhigung wollen. Das ist nicht dasselbe. Ich kann verschiedene Aspekte finden, die Sie beruhigen könnten. Wären Sie damit zufrieden? Wenn ja, sollten Sie besser nicht mehr verlangen.«
Celia setzte sich auf den Stuhl, den er ihr hingeschoben hatte, und sah ihn ernst an. »Sie glauben nicht, dass ich die Wahrheit wissen will?«
»Ich glaube«, antwortete Poirot, »dass die Wahrheit ein Schock ist, dass sie Ihnen Kummer bereiten könnte und Sie möglicherweise sagen: ›Warum hab ich das alles nicht ruhen lassen? Warum wollte ich die Wahrheit wissen, da ich doch nichts mehr tun kann? Mein Vater und meine Mutter haben Selbstmord begangen – doch ich liebe sie trotzdem.‹ Es ist keine schlechte Sache, seine Eltern zu lieben.«
»Obwohl man das heutzutage manchmal zu denken scheint«, warf Mrs Oliver ein. »Sozusagen ein neuer Glaubensartikel.«
»Es quälte mich schon
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