Elementarteilchen kuessen besser
unglaublich einsam und so schrecklich schuldig, dass ich fast den Verstand verloren hätte. Doch ich wusste, dass es mir gerade recht geschah. Tobi und Ralf waren außer meiner Familie die Einzigen, die ich überhaupt in meiner Nähe ertragen konnte. Ohne sie hätte ich vermutlich durchgedreht.“ Linda beugte sich noch weiter zu Philipp vor, um ihm tröstend die Hand auf den Schenkel zu legen. Sie merkte, dass es ihm half, darüber zu reden – so schmerzlich das Erlebnis auch war. „Bekky fehlte mir damals so unglaublich. Ständig sah ich ihr lachendes Gesicht vor mir, ihre strahlenden Augen. Sie hatte ein so sonniges Gemüt. Und dann tauchte immer wieder dieses leblose Gesicht vor meinem geistigen Auge auf, nachdem sie sie aus dem Wasser gezogen hatten. Es war schrecklich. Die Algen in ihrem Haar, der stiere Blick, die blauen Lippen. Ich träumte jede Nacht davon. Ich machte mir schlimme Vorwürfe, dass ich ihr nicht genug Liebe gegeben hatte, als sie noch lebte. Ich hätte ihr so viele Dinge sagen müssen, so viel meiner Liebe zeigen sollen. Sie hätte es mehr als jeder andere Mensch damals in meinem Freundeskreis verdient. Und ich konnte es nicht mehr nachholen.“
Linda erhob sich und wollte sich vor ihn hinknien, um ihn in den Arm zu nehmen. Doch er zog sie auf seinen Schoß, damit er sein Gesicht an ihrem Hals vergraben konnte.
„Sie war damals die erste große Liebe für mich. Und ich hatte es zu spät gemerkt. Und seit damals habe ich keine Frau mehr emotional so nah an mich herangelassen. Z u keiner eine solche Nähe verspürt wie zu Bekky. Bei keiner der kurzen Beziehungen, die ich danach hatte.“ Er blickte Linda nachdenklich an. „Erst auf dieser Reise habe ich gemerkt, was mir die ganzen Jahre über gefehlt hat.“
„Hast du Maschinenbau noch weiterstudiert?“
„Ich nahm mir damals ein paar Monate Auszeit, in denen ich mein ganzes Leben, meine Ziele und anderes überdachte. Es war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte und ich einige gravierende Dinge ändern musste. Daraufhin ging ich regelmäßig in die Vorlesungen, mied Partys und wurde zu einem zuverlässigen Studenten. Doch im Frühjahr merkte ich, dass mich Maschinenbau nicht wirklich interessierte. Und da ich durch die polizeilichen Ermittlungen auch mit dem Rechtswesen in Kontakt gekommen war, bewarb ich mich schließlich um einen Studienplatz für Jura.“
„Und, war es das Richtige für dich?“
„Ja, ich denke, es liegt mir. Ich habe es nie bereut.“
Linda merkte, dass ihn die ganze Geschichte sehr angestrengt hatte.
„Ich fasse es immer noch nicht, dass du nicht von mir angewidert bist.“ Kopfschüttelnd zwirbelte er eine ihrer Haarsträhnen um seinen Finger.
„Warum sollte ich? Du warst damals jung und durch einen schweren Schicksalsschlag leichtsinnig. Es hätte gut gehen können. Aber das tat es nicht. Dafür hast du mehr als genug gebüßt. Immerhin konntest du aber danach dein Leben überdenken und neu beginnen. Du bekamst eine zweite Chance. Was wäre wohl gewesen, wenn alles gut gegangen wäre und du genauso weitergemacht hättest? Was wäre aus dir geworden?“
„Daran wage ich gar nicht zu denken.“ Er schüttelte sich leicht. „Vermutlich wäre ich einer dieser Männer geworden, die sich nie festlegen und keine Verantwortung übernehmen. Mit denen Frauen gerne ins Bett gehen, mit denen sie aber keine Familie gründen würden. Und wenn sie es doch versucht hätten, hätten sie mir Vorwürfe gemacht, dass ich mich nicht genug ums Kind kümmere, den Müll nicht raustrage und sonst viel zu unzuverlässig sei und nichts ernst im Leben nähme.“
„Selbst die schrecklichsten Dinge haben ihre guten Seiten“, meinte Linda nur leise.
Überwältigt von ihrem Großmut drückte er sie fest an sich und küsste sie auf den Scheitel.
Zehnter Tag – nachmittags
Will ich dich hier nicht seh'n,
ja, dann rat' mal, wen ich treff.
Das ist Murphys Gesetz. 1/10
„Oh, glaubt ihr, das ist eine gute Idee?“, fragte Linda entsetzt, als sie sah, wie viele Menschen sich in dem mittelgroßen Kleiderfundus drängten. „Vielleicht sollten wir lieber später kommen?“
„Später wird es um keinen Deut besser sein, nur dass die besten Kostüme schon weg sind“, beschloss Betty mit glücklichem Grinsen, die schon die ganze Zeit an Simons Seite festgeklebt zu sein schien. Ob sie deshalb so glücklich war, weil sie sich ein Kostüm ausleihen oder eng neben Simon laufen durfte, hatte Linda noch nicht herausgefunden.
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