Elementarteilchen kuessen besser
sich im seichten Wasser am Ufer voll. Zwei Freunde schwammen um die Wette – und ich musste es ihnen natürlich gleichtun. Nur stichelte ich Bekky auf, mit mir zu schwimmen. Eine Mutprobe sozusagen, da sie sich im Schwimmbad immer geweigert hatte, gegen mich anzutreten. Erst hatte sie lachend abgewehrt, aber dann bohrte und stichelte ich so lange, bis sie nachgab. Über eine schmale Stelle des Flusses verlief eine Fußgängerbrücke. Ich schlug vor, vom einen Ende runterzuspringen, um dann quer durch den Fluss ans andere Ufer zu schwimmen. Ich ließ ihr noch einen Vorsprung, sprang dann nach zehn Sekunden nach und kraulte wie ein Irrer zum Ufer, weil ich ihr beweisen wollte, wie viel Kraft ich hatte und was für ein toller Kerl ich doch war.“ Von alten Schuldgefühlen überwältigt machte Philipp eine kurze Pause, bis der Schmerz in seiner Brust etwas nachließ. Mit rauer Stimme fuhr er fort: „Als ich völlig außer Puste ankam, blickte ich mich siegessicher nach Bekky um. Doch ich sah sie nicht. Irritiert sah ich zum Ufer, aber da war sie auch noch nicht. Erst danach nahm ich aufgeregte Rufe wahr und jemanden, der ins Wasser sprang und hektisch in die Mitte des Flusses kraulte. Mir wurde in dem Moment richtig schlecht.“ Philipps Stimme brach und er schloss bei der Erinnerung an dieses überwältigende Gefühl der Panik für einen Moment die Augen. „Trotzdem versuchte ich zu helfen, wo ich nur konnte. Doch wir kamen zu spät. Wir suchten über eine halbe Stunde alles ab, bis die Polizei kam. Doch die Suchaktion war erfolglos, der Fluss hatte sie schon etwas abgetrieben, sodass wir an den falschen Stellen nach ihr tauchten. Als dann endlich die Rettungsschwimmer in Aktion traten, war alles schon zu spät. Sie war ertrunken, weil ich sie zu sehr bedrängt hatte. Sie wollte mir etwas beweisen, obwohl wir beide wussten, dass sie keine sichere Schwimmerin war. Nicht so eine Sportskanone wie ich. Aber wir hatten die Wirkung des Alkohols völlig unterschätzt. Ich selbst hätte mit zwei Promille noch jedes Wettschwimmen gegen einen nüchternen Normalsterblichen gewonnen. Dass sie von der kalten Strömung auch noch einen Krampf bekam, hatte ihr wohl den Rest gegeben.“
Als Philipp mit seiner Geschichte geendet hatte, atmete er tief durch und wagte erst jetzt, Linda in die Augen zu sehen. Er hatte fürchterliche Angst, Enttäuschung, Verachtung oder gar Abscheu in ihnen zu entdecken. Genau diese Empfindungen, die er sich selbst gegenüber verspürte und seit fast vierzehn Jahren pflegte.
Doch was er in Lindas Gesichtsausdruck entdeckte, war tiefes Mitgefühl. Ihre dunkelgrünen Augen, die ihn direkt anblickten, glänzten und ihre Lippen lagen weich aufeinander.
„Das tut mir sehr leid.“ Sie drückte seine Finger, die verkrampft in ihrer Hand lagen. „So etwas sollte niemand erleben müssen.“
Philipp starrte sie sprachlos an.
„Was ist?“, fragte Linda besorgt.
„Findest du mein Verhalten nicht absolut leichtsinnig, abstoßend, sogar widerwärtig? Ich konnte mich damals monatelang vor Scham und Ekel nicht im Spiegel anschauen.“
„Das verstehe ich. Leichtsinnig war es auf jeden Fall. Mehr als das. Und ich kann mir vorstellen, dass man Jahre braucht, um über einen solchen Verlust hinwegzukommen. Selbst wenn man keine Schuld an diesem schrecklichen Unglück trägt.“
Philipp blickte auf den Boden, da er Linda vor lauter Scham nicht in die Augen sehen konnte. Wieder drückte sie seine Hand und streichelte tröstend mit dem Daumen über seinen Handrücken.
„Ich finde es unglaublich, dass du nicht schreiend aus meiner Kabine rennst.“ Philipp saß kopfschüttelnd auf seinem Stuhl.
„Wie lange ist das schon her?“
„Fast vierzehn Jahre.“
„Hast du damals eigentlich eine Therapie gemacht?“
Philipp schüttelte den Kopf. „Nach dem Unfall stand ich so unter Schock, dass ich nie im Leben auf eine solche Idee gekommen wäre. Wenn meine Mutter noch gelebt hätte, hätte sie mir vermutlich dazu geraten. Sie war sehr bodenständig und praktisch veranlagt. Aber so ...“ Er rieb sich über die Augen. „Ich zog mich damals während der polizeilichen Ermittlungen völlig zurück. Keine Vorlesungen, keine Partys, kein Schwimmen mehr. Ich ertrug in dieser Zeit keine Menschen um mich herum, da ich immer vermutete, dass sie mir an der Stirn ablesen konnten, was ich verbrochen hatte. Und dass sie hinter meinem Rücken über mich reden und mit Fingern auf mich zeigen würden. Damals fühlte ich mich
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