Elementarteilchen kuessen besser
und der angespannte Zug um den Mund verhieß nichts Gutes. Bevor Anna auch nur reagieren konnte, hielt sich die Frau eine der blauen Tüten vor den Mund und ließ sich – wie du das heute Nacht so treffend ausgedrückt hast – das Abendessen durch den Kopf gehen. Anna dachte noch: Gott sei Dank, dass nicht alles auf dem Boden gelandet war, das hätte eine Schweinerei gegeben. Und sie wunderte sich noch, dass die Frau trotz ihrer Seekrankheit überhaupt zum Abendessen gegangen war. Und weißt du, was sie dann gemacht hat?“
„Sie hat sich noch mal erbrochen?“
Linda schüttelte mit dem Kopf.
„Sie ist aufgestanden, um in ihre Kabine zu gehen, und hat das gefüllte Päckchen appetitlich auf den Tisch neben ihren Teller gestellt?“
Linda schüttelte wieder mit dem Kopf und grinste. „Sie hat das Päckchen zugewickelt und auf ihren Schoß zurückgestellt, hat ihr Besteck zur Hand genommen und seelenruhig weitergegessen.“
„Das gibt’s doch nicht!“, meinte Philipp fassungslos.
Linda nickte grinsend.
Philipp begann lauthals zu lachen und schüttelte nur verständnislos den Kopf. „Getreu nach dem Motto: Was man bezahlt hat, lässt man nicht verkommen.“
„Stimmt.“
Mit der nächsten Frage wechselte Philipp abrupt das Thema. „Welches ist eigentlich deine Lieblingsmannschaft?“
„Du meinst beim Eishockey?“ Philipp nickte. „Ich schaue mir alle Spiele gerne an. Wenn die Deutschen ihr Können zeigen, bin ich natürlich ihr größter Fan. Aber ansonsten schlägt mein internationales Herz für die Finnen und die Tschechen. Beide Mannschaften haben bei der WM 2011 unheimlich gut gespielt. Und die Finnen haben es geschafft, im Finale gegen Schweden so clever zu spielen, dass sie mit einem überragenden sechs zu eins tatsächlich Weltmeister geworden sind. Erst zum zweiten Mal in der Geschichte übrigens.“
„Ja, das Spiel habe ich auch gesehen. Das war doch dieselbe WM, bei der der eine finnische Spieler dieses Wahnsinnstor geschossen hat ...“ Philipp macht ein nachdenkliches Gesicht. „Ich weiß nicht mehr, gegen wen das war ...“
„Du meinst das Granlund-Tor? Als der damals neunzehnjährige Mikael Granlund hinter dem russischen Tor den Puck auf das Schlägerblatt genommen und ihn über der Schulter des verblüfften russischen Goalies in die obere Ecke des Tors geschoben hat?“ Philipps Gesicht zeigte Linda, dass er genau das Spiel gemeint hatte. „Ja, das hat Eishockeygeschichte geschrieben – und den Untergang der russischen Mannschaft in diesem Spiel eingeläutet. Finnland hat damals drei zu null gewonnen.“
„Ich hatte damals gerade meinen Bruder besucht. Es war ein unglaublich spannendes Spiel, das weiß ich noch. Nach dem Tor sind die zwei Kommentatoren vor Begeisterung nicht mehr fertig geworden. Der eine sagte, so ein Tor hätte er bei einer WM noch nie gesehen. Und während des minutenlangen Wartens auf den Videobeweis fügte er noch hinzu, dass – egal, welche Regeln es beim Toreschießen gäbe – er hoffe, dass es gegeben würde.“ Lindas Augen strahlten, als sie zustimmend grinste. „Aber immerhin ist Eishockey in Finnland auch ein Nationalsport wie Fußball bei uns. Da erwartet man so etwas ja fast schon.“
„Jeder fünfundsiebzigste Finne spielt Eishockey. In Tschechien sind es verhältnismäßig sogar noch mehr. Es gibt zehn Millionen Einwohner. Und jeder Zehnte steht auf dem Eis. Darunter sind mehr Nachwuchsspieler zu finden als Eishockeyspieler insgesamt in Deutschland. Das zeigt die große Bedeutung des Sports im Land.“ Als Philipp sie wieder nur stumm anblickte, fragte sich Linda, was sie jetzt schon wieder Falsches gesagt hatte. Sein Blick verunsicherte sie manchmal immer noch.
„Kann es sein, dass du ein Gedächtnis wie ein Elefant hast?“, fragte Philipp fasziniert.
Linda seufzte auf. „Ja, das stimmt. Aber es hat mir wenigstens früher in der Schule und jetzt bei der Arbeit schon viel genützt.“
„Du bist unglaublich ...“
Zehnter Tag – morgens
Der leichtfertig das Glück verspielt,
das er schon hundertfach in Händen hielt. 1/8
Als Linda in gemütlichem Schweigen den letzten Löffel ihres Müslis und eine große Portion Obstsalat leer gegessen hatte, fragte sie vorsichtig: „Möchtest du noch über den Albtraum von heute Nacht reden? Oder ist es jetzt für dich erledigt?“
Die Tasse Tee, die Philipp gerade zum Mund führen wollte, blieb auf halbem Weg in der Luft hängen. Dann blickte er nachdenklich auf die Unendlichkeit des
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