Elementarteilchen kuessen besser
emotionalen Verletzungen hatte sie schon seit langer Zeit abgeschlossen – und wollte ihren schönen Urlaub damit nicht belasten.
Ihr ging es gut. Sie hatte es in ihrem Leben zu etwas gebracht – trotz neidischer Mitschüler und Kollegen, die ihr unzählige Steine in den Weg gelegt hatten. Sie hatte einen Beruf, in dem sie erfolgreich war und ihr Wissen von vielen Kollegen geschätzt wurde. Sie lebte in einer schönen Zweizimmerwohnung und hatte zwei gute Freundinnen, die mit ihr durch dick und dünn gingen. Was brauchte sie also mehr?
Zärtlichkeit, Leidenschaft und Liebe, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie in solchen Momenten gewissenhaft ignorierte.
Als sie einen Blick auf die Uhr warf, stellte sie fest, dass es die ideale Zeit zum Joggen war. Voller Energie stand sie auf und war schon nach zehn Minuten zum elften Deck unterwegs, das für ihr Vorhaben geeignet schien und das sie – statt mit dem Fahrstuhl – zur Aufwärmung über unzählige Treppen erreichte.
Es waren nur wenige Passagiere unterwegs und noch weniger Jogger. Ja, so gefiel ihr das. Die frische Luft strömte in ihre Lunge, die sich im immer gleichen Rhythmus füllte und leerte. Der etwas fischige Geruch nach Algen wurde von einer salzigen Brise verstärkt und kitzelte sie in der Nase, bis sie niesen musste. Und die überwältigend blaue Endlosigkeit des Meeres beeindruckte ihr Gemüt gleichermaßen, wie sie es beruhigte. Während die intensiver werdenden Sonnenstrahlen ihren Körper wärmten, drehte sie unablässig ihre Runden. Mit dieser monotonen Beschäftigung schaffte sie es immer, abzuschalten und ihre Mitte zu finden – egal, welchen Herausforderungen sie sich im Alltag stellen musste.
Nach einer dreiviertel Stunde beschloss Linda, dass es für heute genug sei, ging zurück in ihre Kabine, die sie zu ihrem Erstaunen auf Anhieb wiederfand, und klopfte zwanzig Minuten später frisch geduscht bei Bettina und Anna, um sie zum Frühstück abzuholen.
Als Anna ihr – zwar angezogen, aber mit noch vom Schlafen verwuschelten Locken – öffnete, meinte diese nur trocken: „Betty liegt noch im Bett. Ich konnte sie noch nicht dazu überreden aufzustehen.“
„Hmpflo“, grunzte es zwischen zwei Kissen hervor, was wohl soviel heißen sollte wie 'Hallo'. Als Bettina verschlafen den Kopf hob und Linda musterte, meinte sie nur verächtlich nuschelnd: „Du schiehscht ausch, wie ausch dem Ei gepellt. Viel zu auschgeruht, viel zu frisch, viel zu energiegeladen. Du warscht unter Garantie schon joggen, schtimmt'sch oder hab' ich recht?“
Linda nickte nur grinsend, während sich Bettina wieder mit einem gestöhnten „Bischt du tüchtig. Einfach widerlich!“ in die Kissen sinken ließ ob dieser Verschwendung an Energie.
Zur allgemeinen Verwunderung saßen sie trotzdem kaum eine halbe Stunde später im überfüllten Buffetrestaurant beim Frühstück, nachdem sie sich drei Sitzplätze erkämpft hatten.
„Puh, wenn das die nächsten zwei Wochen so weitergeht, nehme ich trotz All-Inclusive fünf Kilo ab, weil ich nicht zum Essen komme – obwohl mir das sicher gut zu Gesicht stehen würde“, stöhnte Anna.
„Mit deiner ersten Bemerkung könntest du recht haben“, stimmte ihr Betty augenzwinkernd zu. „Es geht hier schlimmer zu als auf einem überfüllten Weihnachtsmarkt. Morgen versuchen wir es früher. Vielleicht ist es am Anfang der Frühstückszeit nicht ganz so voll.“ Als sie die ungläubigen Blicke ihrer Freundinnen auf sich spürte, zuckte sie nur mit ihren hübschen Schultern und erwiderte frech: „Okay, okay, ich bin heute nicht aus den Federn gekommen. Das heißt, ihr müsst mich morgen entweder früher aus dem Bett werfen oder wir kommen erst am Ende der Frühstückszeit ins Restaurant. Vielleicht ist da weniger los. Auf diese Gangverstopfer mit Orientierungsproblemen, die keinen blassen Schimmer davon haben, wo ihr Sitzplatz oder der Kaffeeautomat ist, kannichnämlichgutundgerneverzichten.“
Nach dem Frühstück gingen sie in die Kabinen, um sich für den Pool umzuziehen. Doch kaum hatten sie die Türen geöffnet, als eine laute Durchsage durch alle Lautsprecher zu hören war, der eine ohrenbetäubende Sirene folgte.
Erschrocken blickten sie sich an, bis sie verstanden, dass es sich nur um die angekündigte Seenot-Rettungsübung handelte und die Stimme sie in fünf Sprachen darüber informierte, dass die Teilnahme Pflicht sei. Sie sollten sich mit angelegten Rettungswesten, die sie in ihren Schränken
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