Elementarteilchen kuessen besser
finden würden, am Sammelpunkt einfinden, den sie dem Plan an der Innenseite der Kabinentür entnehmen konnten.
Mit klopfendem Herzen öffnete Linda ihren Kleiderschrank und entnahm ihm eine der zwei unübersehbaren Westen, die sie schon am ersten Tag bemerkt hatte: Sie waren orange, groß und klobig, da sie aus unhandlichen Styropor-Zylindern bestanden. Als sie mit Bettina und Anna zum Sammelpunkt die Treppen hinaufging (die Aufzüge waren verständlicherweise gesperrt), musste Linda fast schon lachen. Alle Passagiere, die gerade unterwegs waren, sahen aus wie vor sich hin wackelnde Michelin-Männchen. Besonders zwei ältere, füllige Damen vor ihnen wirkten wie eine besonders gut gelungene Karikatur aus einer Tageszeitung.
Am Sammelpunkt angekommen wurden alle Passagiere vom Schiffspersonal in lange Schlangen sortiert, wobei darauf geachtet wurde, dass Frauen und Kinder ganz vorne standen. Linda hatte nicht gewusst, dass das immer noch ein eisernes Gesetz auf See war, und fühlte sich um knapp hundert Jahre auf die Titanic zurückversetzt.
Während das Personal den Sitz der Rettungswesten überprüfte, standen vorne zwei Männer in Uniform, die – begleitet von der schon bekannten Stimme über Lautsprecher – wie im Flugzeug pantomimisch Instruktionen gaben, was im Notfall zu tun war – und das jeweils fünf Mal: in Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Es war einfach unglaublich.
Als die Rettungsübung offiziell für beendet erklärt worden war, hatte sich Bettina schon mit einem netten Mann Mitte vierzig und Anna mit einer älteren Dame angefreundet, die sich angeregt unterhielten. Wie Linda die beiden um ihre Kontaktfreudigkeit beneidete!
Gut gelaunt rief Bettina: „Und jetzt zurück zu den Kabinen, damit wir diese orangefarbene Monstrosität loswerden!“, woraufhin der Mann und die ältere Dame zustimmend lachten und sich mit ihnen auf den Weg zurück machten.
Nachdem sie kurz darauf am Pooldeck drei der unzähligen Liegestühle ergattert hatten, lagen sie erschöpft vom anstrengenden Morgen eingecremt unter zwei Sonnenschirmen und dösten vor sich hin. Doch schon nach kurzer Zeit setzte sich Linda auf und betrachtete ihre Umgebung: die vorbeischlendernden und im Pool planschenden Passagiere, die kleine Palme, die einsam und verlassen am Rande des Beckens stand und für karibische Stimmung sorgen sollte, und das spiegelglatte, azurblaue Meer – so viel sie davon von ihrem Platz aus erkennen konnte. „Mädels, ich dreh mal eine Runde hier auf dem Deck“, meinte Linda halblaut.
Anna öffnete die Augen und blinzelte zu Linda hinüber. „Dir ist langweilig, mh?“
Linda verzog ihr Gesicht zu einer leichten Grimasse. „Schon. Ich bin es nicht gewohnt, einfach nur untätig rumzuliegen. Wenn ich meine Unterlagen dabei hätte oder wenigstens mein Notebook ...“ Sie warf einen kurzen Blick auf Bettina, die mit geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund entspannt auf ihrer Liege lag.
„... dann wäre es aber auch kein Urlaub, nicht wahr?“, meinte Anna mit verständnisvoller Stimme. „Du könntest dir doch den Roman aus deiner Kabine holen, den wir dir zum Lesen gegeben haben.“
„Mmh“, machte Linda unentschlossen. „Ich glaube, ich schaue mich erst mal ein bisschen um. Schließlich war ich noch nie auf einem so großen Schiff.“
Mit den Worten „Wie du willst“ entließ Anna ihre Freundin, während von Bettina nur ein leichtes Schnarchen zu vernehmen war.
Nachdem Linda das Pooldeck und noch zwei weitere erkundet hatte, wusste sie genau, wo sich neben einer weiteren Pool-Landschaft noch ein Spielfeld für Ballspiele, die offizielle Jogging-Bahn und vier Whirlpools befanden. Das war doch schon mal was!
Auf dem Rückweg zu ihrer Liege besorgte sie an der Poolbar drei alkoholfreie Cocktails, mit denen sie ihre Freundinnen überraschte.
„Ihr müsst mit mir etwas nachsichtig sein“, begann Linda, als sie sich auf ihren Platz setzte und die Gläser an gierige Hände verteilte, „denn ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Erholungsurlaub gemacht. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie das geht.“
„Jetzt hör aber auf“, wurde Linda von einer schläfrigen Bettina unterbrochen, die an ihrem Cocktail nippte und eine klebrige Strähne ihres rotblonden Haares aus der Stirn wischte.
„Doch, das ist leider so. Meine Eltern haben mich im Urlaub immer durch die wichtigsten Museen der Welt geschleift, wobei sich mein schrulliger Vater liebend gerne als
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