Elementarteilchen
Voraussetzung eines gewissen gesellschaftlichen Konsens (keine erbliche Belastung, die zu Mißbildungen führt, Einwilligung der Eltern) eine individuelle autonome Existenz zuerkannt. Zum anderen konnte der Greis, jene Anhäufung von Organen in fortschreitendem Auflösungsprozeß, nur noch dann das Recht auf Überleben für sich in Anspruch nehmen, wenn seine organischen Funktionen ein Minimum an Koordination aufwiesen - Einführung des Begriffs der menschlichen Würde. Die ethi schen Probleme, die in dieser Form die beiden entgegengesetzten Pole des Lebens (Abtreibung; und einige Jahrzehnte später dann die Euthanasie) stellten, sollten von da an zu unüberwindbaren Gegensätzen zwi- schen zwei Weltanschauungen, zu zwei völlig antagonistischen Anthropologien, führen.
Der prinzipielle Agnostizismus der französischen Republik sollte den scheinheiligen, ja leicht hinterlistigen Siegeszug der materialistischen Anthropologie erleichtern. Auch wenn die Probleme bezüglich des Werts des menschlichen Lebens nie offen angesprochen wurden, bildeten sie sich in den Köpfen der Menschen immer stärker heraus; man kann ohne Zweifel behaupten, daß sie in der Endphase der westlichen Zivilisation maßgeblich daran beteiligt waren, ein allgemein verbreitetes depressives, wenn nicht gar masochistisches Klima zu schaffen.
Für Bruno, der gerade achtzehn geworden war, war der Sommer 1974 eine wichtige, ja geradezu entscheidende Zeit. Als er sich viele Jahre später in Behandlung eines Psychiaters begab, sollte er mehrfach darauf zurückkommen, um diese oder jene Einzelheit abzuwandeln - tatsächlich schien der Psychiater diesen Bericht ungemein zu schätzen. Hier also die kanonische Fassung, die Bruno gern davon gab:
»Die Sache hat sich Ende Juli abgespielt. Ich war für eine Woche zu meiner Mutter an die Côte d'Azur gefahren. Sie hatte viele Leute zu Besuch, es war ein ständiges Kommen und Gehen. In jenem Sommer schlief sie mit einem Kanadier - einem jungen, kräftigen Kerl mit der Statur eines Holzfällers. Am Morgen meiner Abreise bin ich sehr früh aufgewacht. Die Sonne war bereits heiß. Ich bin in ihr Zimmer gegangen, sie schliefen beide noch. Ich habe ein paar Sekunden gezögert, dann habe ich das Bettlaken zurückgezogen. Meine Mutter hat sich bewegt, einen Augenblick habe ich geglaubt, sie würde die Augen öffnen; sie hat die Schenkel leicht gespreizt. Ich habe mich vor ihrer Scheide niedergekniet, habe meine Hand bis auf wenige Zentimeter herangeführt, doch ich habe nicht gewagt, sie zu berühren. Dann bin ich wieder hinausgegangen, um mir einen runterzuholen. Sie hatte zahlreiche, mehr oder weniger verwilderte Katzen in ihrem Haus aufgenommen. Ich habe mich einer Jungen schwarzen Katze genähert, die sich auf einem Stein wärmte. Der Boden rings um das Haus war steinig und sehr weiß, von geradezu erbarmungslosem Weiß. Die Katze hat mich mehrmals angesehen, während ich onanierte, aber sie hat die Augen geschlossen, bevor ich ejakulierte. Ich habe mich gebückt, einen großen Stein aufgehoben und den Schädel der Katze zertrümmert; Gehirnmasse spritzte auf. Ich habe den Kadaver mit Steinen zugedeckt, dann bin ich ins Haus zurückgekehrt; alle schliefen noch. Am Vormittag hat mich meine Mutter zu meinem Vater gefahren, der etwa fünfzig Kilometer von ihr entfernt wohnte. Im Auto hat sie mir zum erstenmal von di Meola erzählt. Vier Jahre zuvor hatte auch er Kalifornien verlassen; er hatte in der Nähe von Avignon auf den Hängen des Mont Ventoux ein großes Landgut gekauft. Im Sommer nahm er junge Leute aus allen europäischen Ländern und aus Nordamerika bei sich auf. Sie meinte, ich könne dort mal einen Sommer hinfahren, das würde mir neue Horizonte eröffnen. Di Meolas Lehre knüpfte vor allem an die brahmanische Tradition an, aber, ihr zufolge, ohne jeden Fanatismus oder Ausschließlichkeitsanspruch. Er bezog auch die Errungenschaften der Kybernetik, der NLP und der in Esalen entwickelten Deprogrammierungstechniken mit ein. Es ging vor allem darum, das Individuum zu befreien, sein tiefes schöpferisches Potential zu entfalten.>Wir benutzen nur 10% unserer Neuronen.<
>Außerdem<, fügte Jane hinzu (sie fuhren gerade durch einen Pinienwald), >kannst du dort junge Leute in deinem Alter kennenlernen. Während du bei uns warst, haben wir alle den Eindruck gehabt, daß du in sexueller Hinsicht Probleme hast.< Die westliche Art, mit Sexualität umzugehen, fügte sie hinzu, sei
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