Elena - Ein Leben für Pferde
nicht, deshalb musste ich auf Mitleid hoffen.
»Nein«, piepste ich. »Ich muss nach Hause.«
»Wie willst du denn nach Hause kommen? Du kannst ja kaum laufen.«
»Mein … mein Pferd steht da draußen«, hauchte ich und wagte das erste Mal aufzublicken.
»Lajos, was sagst du dazu?« Die ganze Situation schien Friedrich Gottschalk, dem ich heldenhaft das Leben hatte retten wollen, königlich zu amüsieren. Er lachte und lachte, und ich wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. Aber mein Mut kehrte zurück, wenigstens ein winziger Teil davon.
»Ich hab dahinten ein ganz frisch ausgehobenes Grab gesehen«, verteidigte ich mich trotzig. »Und Sie haben geschrien wie am Spieß. Ich dachte, wenn er schon gestohlene Pferde hier versteckt, dann bringt er vielleicht auch jemanden um.«
Der Waldschrat, den Gottschalk Lajos genannt hatte, stieß einen tiefen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Er lachte nicht. Im Gegenteil, er sah sogar fast ein bisschen traurig aus.
»Gestohlene Pferde?«, fragte Tims Opa und hob die Augenbrauen. »Das musst du uns aber jetzt mal etwas genauer erklären. Komm rein.«
Da ich keine Chance zur Flucht hatte, gab ich mich geschlagen und humpelte an den beiden Männern vorbei ins Haus.
»Wo steht dein Pferd?«, fragte der Waldschrat, der aus der Nähe und bei hellem Licht betrachtet gar nicht mehr so unheimlich aussah. Er war auch längst nicht so alt, wie ich angenommen hatte.
»Hinten, an dem kleinen Törchen.«
»Ich bringe es in den Stall, dann schaue ich mir deinen Fuß an.« Er wandte sich zur Tür.
»Nein!«, rief ich. »Fritzi lässt sich nicht von Fremden anfassen, und von Männern schon gar nicht!«
»Lass Lajos mal machen«, sagte Friedrich Gottschalk. »Komm, setz dich her und zieh deinen Stiefel aus.«
Unsicher setzte ich mich auf einen Stuhl, öffnete den Klettverschluss des Chaps und zog meinen Schuh aus. Es tat tierisch weh. Der Waldschrat war hinausgegangen und ich wartete ängstlich auf einen Schrei und wildes Gewieher von Fritzi, aber es blieb ruhig.
»Weißt du«, Friedrich Gottschalk ließ sich mit einem Ächzen auf dem anderen Stuhl nieder, »du hast wohl etwas missverstanden. Lajos besitzt ein sehr ungewöhnliches Talent: Er kann Pferde und Menschen einrenken und heilen, wenn sie Schmerzen haben. Und das hat er eben mit mir gemacht. Bei diesem Wetter macht mir mein Ischias schlimm zu schaffen und Lajos hilft mir immer. Besser als jeder Arzt mit Spritzen und Tabletten.«
Ich saß da wie ein begossener Pudel und senkte beschämt den Kopf. Melike und ich hatten wohl wirklich alles gründlich falsch verstanden. Friedrich Gottschalk erzählte, dass von überall her Leute mit ihren Pferden zu Lajos kamen, denen die Schulmedizin nicht mehr helfen konnte. Lajos mit den goldenen Händen war ihre letzte Hoffnung und ein Geheimtipp.
»Aber warum versteckt er sich hier im Wald?«, wagte ich zu fragen.
»Er versteckt sich doch nicht.« Friedrich Gottschalk schüttelte den Kopf. »Ich kenne ihn von früher, als er noch hier gewohnt hat. Das Forsthaus gehört mir und ich habe es ihm vermietet, damit er hier wohnen und arbeiten kann, bis er etwas Besseres findet.«
Das wurde ja alles immer peinlicher.
Die Tür ging auf, der Waldschrat kehrte zurück. Seine wilde dunkle Haarmähne war klatschnass.
»Was ist mit Fritzi?«, fragte ich. »Hat er sich von Ihnen anfassen lassen?«
»Jedes Pferd lässt sich von mir anfassen«, erwiderte der Waldschrat und lächelte kurz. »Ich habe ihn in eine der Boxen gestellt. Und jetzt zeig mir mal deinen Fuß.«
Er kniete sich vor mir hin, nahm meinen rechten Fuß in die Hand. »Nur ausgerenkt«, sagte er leise und blickte hoch.
Ich hatte ihm Unrecht getan. Er hatte aus der Nähe betrachtet überhaupt nichts Finsteres an sich, seine dunklen Augen waren sogar richtig freundlich.
»Wenn du kurz die Zähne zusammenbeißt, renke ich ihn dir wieder ein.«
Ich schloss die Augen. Es machte »Knack!« in meinem Knöchel, und bevor ich »Aua« schreien konnte, war der Schmerz weg.
»Danke«, flüsterte ich und bewegte den Fuß probehalber hin und her.
»Gern geschehen.« Der Waldschrat erhob sich.
»Es tut mir leid, dass ich dachte, Sie wären … ein Pferdedieb. Und dass Sie den Herrn Gottschalk umbringen und beerdigen wollten.«
Da zuckte ein kurzes Lächeln über das Gesicht des Waldschrats. »Wenn ich’s recht überlege, macht das alles schon einen ziemlich verdächtigen Eindruck.« Er betrachtete mich nachdenklich und
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