Elena - Ein Leben für Pferde
der späteren Jahre überflog ich nur flüchtig, Lajos kam gar nicht mehr darin vor, Papa und Richard Jungblut waren zwischendurch auf der Bundeswehrsportschule in Warendorf gewesen und ein paarmal in Uniform auf dem Pferd zu sehen. Schließlich blieb nur noch ein Album übrig, aber ich war dem Geheimnis noch nicht viel näher gekommen.
1992. Mama musste damals gerade achtzehn gewesen sein, Papa fünfundzwanzig. Es gab ein Foto, das Mama und Papa sowie Lajos und Linda zusammen bei einer Party zeigte. Und erst jetzt kapierte ich, dass Linda Tims Mutter war. Linda Gottschalk! Natürlich! War sie damals Lajos’ Freundin gewesen? Ich blätterte weiter, aber die letzten Seiten waren leer.
»Mist«, flüsterte ich. Gerade, als ich das Album zurück in den Karton stecken wollte, rutschten ein paar zusammengefaltete Zeitungsartikel heraus und fielen auf den Boden.
Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang , las ich. Für vier junge Leute aus Steinau endete am Pfingstwochenende der Ausflug auf ein Reitturnier in Zeiskam mit einem Todesopfer, drei Schwerverletzten und erheblichem Sachschaden. Fahrer Lajos K. (25) missachtete am unbeschrankten Bahnübergang zwischen Königshofen und Hettenbach das Haltesignal. Sein Fahrzeug kollidierte mit dem aus Königshofen kommenden Regionalzug und ging sofort in Flammen auf. Lajos K., Richard J. und Susanne K. kamen mit schweren Verletzungen davon, für die 21-jährige Viola K. kam jede ärztliche Hilfe zu spät. Sie erlag noch am Unfallort ihren Verletzungen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den zum Zeitpunkt des Unfalls stark alkoholisierten Fahrer Lajos K. wegen fahrlässiger Tötung, schwerer Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr.
Ich starrte fassungslos auf den Zeitungsartikel in meinen Händen; die Gedanken wirbelten in meinem Kopf wie ein Karussell. So also war Mamas Schwester Viola gestorben! Mit zitternden Fingern faltete ich die anderen Zeitungsausschnitte auseinander; alle Zeitungen aus der Gegend hatten groß von dem schrecklichen Unfall berichtet. Lajos war stockbetrunken gewesen, man hatte ihm den Führerschein abgenommen und ihn später zu fünf Jahren Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Es war absolut schrecklich, der totale Horror! Aber jetzt kapierte ich alles. Kein Wunder, dachte ich bitter, dass Lajos nicht über seine Vergangenheit sprechen wollte. Er war nie mehr auf den Amselhof gekommen und versteckte sich im Wald, weil er der Mörder von Mamas Schwester war!
Ich hatte den Karton wieder in den Schrank zurückgestellt, nur den Zeitungsartikel über den Unfall behielt ich. Nie wieder, das schwor ich mir in dieser Nacht, würde ich mit Lajos reden. Meine Enttäuschung über ihn war umso schlimmer, weil ich ihn eigentlich mochte. Es machte mich echt fertig, dass mich dauernd alle Menschen enttäuschten: Corinna und Engelbert, die blöde Ariane, Tim, ja sogar Papa, der nur noch miese Laune hatte, wenn er denn überhaupt mal zu Hause war!
29. Kapitel
Am Sonntag saß ich trübsinnig in meinem Zimmer herum und redete mich bei Melike, die natürlich wieder zu Lajos reiten wollte, mit Kopfschmerzen und Schüttelfrost heraus.
Immer wieder versuchte ich, Tim zu erreichen, aber sein Handy war und blieb aus.
Die ständigen Streitereien zwischen Mama und Papa erreichten beim Mittagessen einen vorläufigen Höhepunkt und endeten wieder einmal damit, dass Papa wütend das Haus verließ und davonfuhr. Grund für seinen Zorn war der Scheck von Herrn Teichert, den ausgerechnet ich Tims Vater abgenommen hatte. Er war »geplatzt«, wie Mama erklärte. Das bedeutete, es gab für den Scheck kein Geld. Über sechstausend Euro, die Teicherts Papa für Boxenmiete, Beritt und anderes schuldeten, waren damit futsch. Und ich war schuld.
Am Montag wäre ich am liebsten einfach im Bett liegen geblieben, nichts zog mich in die Schule. Ich brachte es auch nicht über mich, Melike die Wahrheit über ihren angebeteten Lajos zu erzählen. Das war alles viel zu ungeheuerlich, um darüber zu reden.
Ariane war wieder da, mit neuer Frisur und neuen Klamotten, für die sie sich ordentlich bewundern ließ, und sie platzte nach der zweiten Stunde auf dem Weg in die große Pause mit den Neuigkeiten heraus, natürlich extra so laut, dass ich schon hätte taub sein müssen, um nichts mitzubekommen.
»Ich hatte sooo ein geniales Wochenende«, schwärmte sie Tessa und Ricky und allen, die es sonst noch hören wollten, vor. »Wir waren in der
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