Elena - Ein Leben für Pferde
dass Tim vielleicht echt nur vergessen hatte, sein Handy aufzuladen, hatte mich tatsächlich ein wenig getröstet.
28. Kapitel
Das Wochenende ging herum, ohne dass Tim sich rührte. Ich klammerte mich an die Hoffnung, er hätte wirklich sein Handy vergessen. Melike und ich ritten zur Wiese hoch, doch er kam nicht.
Den Samstagnachmittag verbrachten wir bei Lajos. Erst halfen wir ihm im Stall, dann gingen wir ins Haus, saßen am Küchentisch, tranken Tee und lauschten den aufregenden Geschichten, die er erlebt hatte, während er um die halbe Welt gereist war.
Melike interessierte sich null für die Behandlung von Pferdekrankheiten, aber wahrscheinlich hätte er auch über die Folgen der Klimaerwärmung im Himalaja oder das Kanalsystem in Bagdad-Süd reden können, es wäre ihr egal gewesen. Sie schmachtete ihn an wie einen Popstar, saugte jedes seiner Worte derart auf, dass es schon peinlich war.
Lajos schien das allerdings nicht zu bemerken. Irgendwann stand er auf, zog eine Schublade auf und holte einen Beutel heraus. Ohne mit dem Reden aufzuhören, häufte er bräunliches Kraut auf ein Stück Papier, drehte es zwischen den Fingern zu einer Art Zigarette und zündete sie an.
»Was ist?«, erkundigte er sich nach zwei Zügen. Melike und ich starrten ihn nur an. »Habt ihr noch nie jemanden rauchen sehen?«
»Schon, aber nicht so etwas«, flüsterte Melike mit großen Augen. »Das … das ist doch … Haschisch, oder?«
Lajos hob überrascht die Augenbrauen, betrachtete kurz die eigentümliche Zigarette zwischen seinen Fingern und war seinerseits kurzzeitig sprachlos.
»Da habe ich wohl einen richtig schlechten Eindruck auf euch gemacht, was?« Er warf Melike einen amüsiert zerknirschten Blick zu, der zugegebenermaßen tatsächlich in die Kategorie »süß« fiel. Melike wurde auch prompt tomatenrot. »Das ist kein Haschisch, sondern ganz normaler Tabak. Ich drehe mir öfter selbst Zigaretten. Ist billiger und schmeckt besser.« Er zuckte mit den Schultern und grinste.
Draußen fuhr ein Auto vor. Melike guckte aus dem Fenster.
»Ich glaube, da kommt Tims Opa«, stellte sie fest.
»Wer?«, fragte Lajos.
»Herr Gottschalk ist der Opa von Tim Jungblut«, erklärte Melike. »Das müsstest du doch wissen.«
Sie sagte unverfroren Du zu Lajos, und da er nichts dagegen zu haben schien, tat ich das auch.
Eine Autotür schlug zu und Friedrich Gottschalk kam über den Hof. Und dann plapperte Melike unser größtes Geheimnis aus.
»Tim trainiert heimlich mit Elena und Fritzi auf der Wiese am steinernen Kreuz, aber das darf keiner wissen, weil Elenas Eltern Tims Eltern nicht leiden können. Stimmt’s, Elena?«
Ich nickte nur. Lajos würde schon nichts verraten. Wem auch? Er kannte offensichtlich weder die Jungbluts noch meine Eltern.
»Ach ja?«, sagte er auch nur und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Und da fiel mir wieder ein, wie komisch er mich angeguckt hatte, als der Gottschalk neulich meinen Namen gesagt hatte.
Plötzlich machte es in meinem Gehirn »Klick, klick, klick« und ich bekam ein ganz komisches Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht mit Lajos. War es nicht eigenartig, dass er kaum etwas von sich erzählte? Alle seine Geschichten spielten in Amerika, England, Argentinien und Irland, aber er musste ziemlich lange in Deutschland gelebt haben, sonst würde er nicht so gut Deutsch sprechen.
Angestrengt versuchte ich mich an den Abend zu erinnern, als er mir den Fuß eingerenkt hatte. Irgendwo in meinem Kopf schwamm eine undeutliche Erinnerung herum, die sich aber nicht festhalten ließ.
Friedrich Gottschalk kam zur Tür hereingepoltert und brachte einen Schwall kalter feuchter Luft mit.
»Nanu, Lajos, du hast ja Damenbesuch«, stellte er fest und begrüßte Melike und mich.
Und da war es! »Ich kenne Lajos von früher, als er noch hier gewohnt hat« , das hatte Friedrich Gottschalk an jenem Abend gesagt! Er hatte ihm das Forsthaus vermietet, weil er ihn von früher kannte!
»Wir müssen jetzt los«, sagte ich und ergriff Melike, die sonst sicher bis um Mitternacht sitzen geblieben wäre, am Handgelenk. »Tschüss, Lajos, tschüss, Herr Gottschalk!«
»Grüß deinen Opa von mir«, erwiderte Tims Opa.
»Warum hast du es plötzlich so eilig?«, beschwerte meine Freundin sich, als wir in den Stall gingen, um unsere Pferde zu holen.
»Es wird schon dunkel«, erwiderte ich. »Ich hab keine Lust auf Krach.«
In Wirklichkeit hatte ich es eilig, nach Hause zu kommen, weil ich ganz
Weitere Kostenlose Bücher