Elena - Ein Leben für Pferde
Unterholz auf. Fritzi machte einen Satz zur Seite und preschte im Galopp los. Ich verlor einen Steigbügel und klammerte mich in seiner Mähne fest. Der eisige Wind sang mir in den Ohren, trieb mir die Tränen in die Augen. Meine Hände waren so kalt, dass ich kaum noch die Zügel festhalten konnte.
Fritzi galoppierte durch den stockdüsteren Wald, ohne auch nur ein Mal zu straucheln, seine Hufe fanden sicheren Halt und ich vertraute darauf, dass er mit seinen Pferdeaugen mehr sah als ich. Was für ein wundervolles, furchtloses Pferd er war! Eigentlich hätte es heute Abend Fritzis großer Auftritt werden sollen, Papa war so guter Laune gewesen, so fröhlich wie lange nicht mehr. Wir hatten uns im Lkw unterhalten wie zwei Erwachsene. Und dann, ganz plötzlich und unerwartet, war alles so schrecklich, fürchterlich anders gekommen. Lagunas würde sterben, wenn er nicht bald auf die Beine kam, denn Pferde dürfen nicht lange liegen, sonst kann der Darm abgequetscht werden und absterben.
Endlich tauchte der Waldsee vor uns auf – tintenschwarz und unheimlich –, aber ich hatte keine Zeit, Angst zu haben. Viel mehr fürchtete ich mich davor, dass Lajos nicht daheim sein könnte.
Im Haus war alles dunkel, kein Licht brannte. Wie spät war es eigentlich? Fritzi fiel von selbst in Trab und dann in Schritt. Ich lenkte ihn zur Veranda und ließ mich aus dem Sattel rutschen. Meine Beine gaben beinahe unter mir nach, ich musste mich am Steigbügel festhalten, um nicht hinzufallen. Mit steifen Fingern schlang ich Fritzis Zügel um das Geländer, sein Fell dampfte in der kalten Luft. Atemlos stolperte ich die Stufen hoch und klopfte an die Haustür. Zweimal, dreimal.
»Lajos!«, rief ich. Meine Stimme klang schrill. »Lajos, bist du da?«
Nichts. Verdammt. Da verließ mich der Mut. Ich lehnte mich gegen den Türrahmen, ließ mich auf den Boden sinken und fing an zu weinen. Lagunas würde sterben. Mama war weg. Wir würden den Amselhof verlieren. Alles war vorbei.
Ein Lichtschein flammte auf, zeichnete ein helles Viereck vor mir auf den hölzernen Boden der Veranda. Die Haustür ging auf. Offenbar hatte ich Lajos geweckt. Seine Haare standen in alle Richtungen von seinem Kopf ab, er blinzelte verschlafen.
»Elena! Ist etwas passiert?«, fragte er erschrocken.
»Lajos!«, schluchzte ich erleichtert. »Bitte, du musst mir helfen!«
Er ging vor mir in die Hocke, nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich besorgt aus seinen dunklen Augen an.
»Großer Gott, Elena, was machst du denn hier um diese Uhrzeit?«
»Lagunas … er … er liegt in der Wa… Waschbox und kann nicht mehr aufstehen«, stammelte ich. »Und da habe ich gedacht, du bist der Einzige, der ihm helfen kann.«
»Steh erst mal auf. Du holst dir den Tod.«
Lajos stützte mich, aber meine Beine zitterten so stark, dass ich kaum stehen konnte. Mir war ganz schlecht vor Angst und Sorge um Lagunas und Papa.
»Komm rein und wärm dich etwas auf. Du bist ja total durchgefroren.«
»Ich kann nicht warten«, widersprach ich und brach wieder in Tränen aus. »Der Tierarzt hat gesagt, er stirbt, wenn er noch länger liegt. Und Papa ist total am Ende, weil er ihn doch gerade heute verkauft hat …«
»Warte einen Moment.«
Lajos verschwand in einem anderen Zimmer. Sekunden später kam er zurück. Er trug jetzt eine Jeans und zog sich einen Pullover über den Kopf. Dann schlüpfte er in seine Schuhe und nahm eine Jacke von einem Haken neben der Haustür.
»Wir lassen Fritzi hier und fahren mit meinem Auto«, entschied er. »Komm.«
Mit mir war nicht mehr viel anzufangen, deshalb band er Fritzi vom Geländer los und führte ihn ums Haus herum in den Stall. Er nahm meinem Pferd Sattel und Trense ab und stellte ihn in eine leere Box.
»Setz dich schon mal ins Auto«, sagte er zu mir. »Ich komme sofort.«
Ich taumelte über den Hof zu dem silbernen Kombi, öffnete die Tür und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Alles kam mir wie ein irrsinniger Albtraum vor. Wahrscheinlich würde ich gleich aufwachen, mit Twix neben mir, und feststellen, dass ich das alles nur geträumt hatte. Aber dann erinnerte ich mich daran, wie Richard Jungblut Tim geohrfeigt hatte und was Opa über Tims Vater und Lajos erzählt hatte.
Ich zuckte zusammen, als die Fahrertür aufging. Lajos stieg ein und startete den Motor. Er drehte die Heizung auf volle Touren und manövrierte das Auto rückwärts aus dem Hof.
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hat sich eines eurer
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