Elenium-Triologie
blickte rasch zu dem staubbedeckten Fenster. Die Hummel war verschwunden. An ihrer Stelle schwebte ein winziges weibliches Figürchen wie aus einem Volksmärchen. Das helle Haar wallte den Rücken zwischen den flinken, schleierfeinen Flügeln hinunter. Der nackte Körper war von makelloser Vollkommenheit, und das niedliche Gesichtchen war atemberaubend schön.
»So sehen sich Hummeln selbst«, sagte Sephrenia völlig ruhig. »Und vielleicht sind sie auch wirklich so – tagsüber ein gewöhnliches Insekt, doch des Nachts ein wundersames Geschöpf.«
Tanjin war rückwärts mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf die Couch gesunken.
»Komm her, kleine Schwester«, lockte Sephrenia das Elflein und streckte den Arm aus.
Die Elfe flog im Zimmer herum, ihre zarten Flügel sirrten, und ihr Stimmchen hob sich glücklich. Dann ließ sie sich vorsichtig auf Sephrenias Handteller nieder, während ihre Flügel immer noch fächelten.
Sephrenia drehte sich um und hielt die Hand vor das Gesicht des am ganzen Leibe zitternden Arztes.
»Ist sie nicht bezaubernd?« fragte sie. »Ihr dürft sie auf die Hand nehmen – aber paßt auf ihren Stachel auf.« Sie deutete auf den winzigen Degen in der Hand des Elfleins.
Tanjin verbarg rasch die Hände hinter dem Rücken. »Wie habt Ihr das gemacht?« fragte er mit bebender Stimme.
»Heißt das, daß Ihr es nicht könnt? Dann müssen die Beschuldigungen gegen Euch falsch sein. Das ist ein ganz einfacher Zauber – schon Anfänger beherrschen ihn.«
»Wie Ihr sehen könnt, Doktor, scheuen wir Magie keineswegs. Ihr könnt frei zu uns sprechen, ohne Angst haben zu müssen, daß wir Euch bei Arasham oder seinen eifernden Anhängern denunzieren«, versicherte ihm Sperber.
Tanjin preßte die Lippen zusammen und starrte unentwegt auf das Elflein, das mit flatternden Flügeln auf Sephrenias Hand sitzen geblieben war.
»Schmollt nicht, Doktor«, tadelte ihn Sephrenia. »Ihr braucht uns bloß zu sagen, wie Ihr den Bruder des Königs geheilt habt, dann machen wir uns sogleich wieder auf den Weg.«
Tanjin rückte so weit von ihr ab, wie er nur konnte.
»Teurer Bruder, ich fürchte, wir vergeuden hier nur unsere Zeit«, meinte Sephrenia seufzend. »Der gute Doktor weigert sich, uns zu helfen.« Sie hob die Hand. »Flieg, kleine Schwester«, sagte sie zu dem Elflein, und das winzige Geschöpf erhob sich wieder in die Luft. »Wir verlassen Euch jetzt, Tanjin.«
Sperber wollte protestieren, da legte sie rasch abwehrend eine Hand auf seinen Arm und ging zur Tür.
»Und was werdet Ihr mit dem da machen?« rief Tanjin und deutete auf die in der Luft kreisende Elfe.
»Machen?« fragte Sephrenia scheinbar verwundert. »Nichts, Doktor. Sie fühlt sich hier recht wohl. Gebt ihr hin und wieder etwas Zucker, und stellt ein Schälchen Wasser für sie auf. Sie wird es Euch mit ihrem Gesang danken. Versucht jedoch nicht, sie einzufangen. Das würde sie sehr erzürnen!«
»Ihr könnt sie doch nicht hierlassen!« jammerte er verzweifelt. »Wenn jemand sie hier sieht, verbrennt man mich wegen Hexerei auf dem Scheiterhaufen!«
»Siehst du«, wandte sich Sephrenia an Sperber. »Er hat den springenden Punkt sogleich erkannt.«
»Das ist bei einem wissenschaftlich geschulten Verstand nicht anders zu erwarten.« Sperber grinste. »Also, gehen wir?«
»Wartet!« rief Tanjin.
»Wollt Ihr uns etwas sagen, Doktor?« fragte Sephrenia sanft.
»Nun gut. Nun gut. Aber ihr müßt schwören, daß ihr geheimhalten werdet, was ich euch jetzt gestehe.«
»Selbstverständlich. Unsere Lippen sind versiegelt.«
Tanjin holte zitternd Atem und huschte zum Türvorhang, um sich zu vergewissern, daß niemand davor stand und lauschte. Dann drehte er sich um und bedeutete ihnen, ihm in die hinterste Ecke zu folgen, wo er ihnen heiser zuflüsterte: »Darestim ist so bösartig, daß es kein Gegengift oder ein sonstiges natürliches Mittel dagegen gibt«, begann er.
»Das hat uns Voldi bereits erklärt«, warf Sperber ein.
»Es wird euch aufgefallen sein, daß ich sagte, ›kein natürliches Mittel‹«, fuhr Tanjin fort. »Vor einigen Jahren, während ich Studien betrieb, stieß ich auf ein sehr altes und merkwürdiges Buch. Es stammte aus einer Zeit vor Eshand, es war geschrieben worden, ehe seine Verbote in Kraft traten. Zu jener Zeit war es völlig alltäglich, daß die primitiven Heiler hier in Rendor sich bei der Behandlung ihrer Patienten der Magie bedienten. Manchmal wirkte sie, manchmal nicht, aber sie
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