Elenium-Triologie
Hochmeister Vanion noch im Südturm ist?«
»Ja, er ist noch dort«, antwortete der Ritter.
»Danke, Bruder. Friede sei mit Euch.«
»Und mit Euch, Herr Ritter.«
Sperber folgte dem fackelerhellten Korridor, bis er zu einer schmalen Wendeltreppe gelangte, die sich zwischen den dicken Steinmauern den Südturm hochwand. Die Tür am Kopfende wurde von zwei jungen Pandionern bewacht. Sperber kannte keinen von beiden. »Ich muß mit Hochmeister Vanion sprechen«, erklärte er. »Ich heiße Sperber.«
»Könnt Ihr Euch ausweisen?« fragte einer und bemühte sich, seine junge Stimme barsch klingen zu lassen.
»Das habe ich soeben getan!«
Die Rüge hing schwer in der Luft, während die beiden jungen Ritter verlegen nach einem höflichen Ausweg aus der Lage suchten, in die sie sich gebracht hatten. »Wie wäre es, wenn ihr die Tür öffnet und Vanion meldet, daß ich hier bin?« schlug Sperber vor. »Wenn er mich erkennt, gut. Wenn nicht, könnt ihr zwei immer noch versuchen, mich die Treppe hinunterzudrängen.« Er betonte das Wort versuchen nicht übermäßig.
Die beiden blickten einander an, dann öffnete einer vorsichtig die Tür und schaute in den Raum dahinter. »Verzeiht tausendmal, Hochmeister Vanion«, entschuldigte er sich, »aber hier ist ein Pandioner namens Sperber. Er sagt, er möchte mit Euch sprechen.«
»Gut«, antwortete eine vertraute Stimme. »Ich habe ihn bereits erwartet. Schickt ihn herein.«
Die beiden Ritter wirkten noch zerknirschter als zuvor und machten Sperber Platz.
»Vielen Dank, meine Brüder«, sagte Sperber. »Friede sei mit euch.« Dann trat er durch die Tür. Der Raum dahinter war groß, hatte kahle Steinwände, grüne Vorhänge an den schmalen Fenstern und einen Teppich in gedämpftem Braun. Unter der Bogenöffnung des Kamins prasselte ein Feuer, und in der Mitte des Gemachs stand ein kerzenbeleuchteter Tisch mit schweren Stühlen ringsum. Zwei Personen, ein Mann und eine Frau, saßen an diesem Tisch.
Vanion, der Hochmeister der pandionischen Ritter, war in den vergangenen zehn Jahren nur wenig gealtert. Sein Haar und Bart waren nun eisengrau, und ein paar neue Falten durchzogen sein Gesicht, doch keine Spur von Altersschwäche zeichnete es. Er trug Kettenhemd und silbernen Wappenrock. Als Sperber eintrat, erhob er sich und kam ihm um den Tisch herum entgegen. »Ich wollte schon einen Trupp zu Eurer Unterstützung ins Schloß schicken«, sagte er und legte die Hände auf Sperbers gepanzerte Schultern. »Ihr hättet nicht allein dorthin gehen sollen, wißt Ihr?«
»Vielleicht nicht, aber es verlief alles recht gut.« Sperber zog die stählernen Handschuhe aus, nahm den Helm ab, löste das Schwert vom Gürtel und legte alles auf den Tisch. »Es ist schön, Euch wiederzusehen, Vanion«, sagte er und ergriff die Hand des Älteren. Vanion war immer ein strenger Lehrer gewesen, der bei den jungen Männern, die er zu pandionischen Rittern ausbildete, keine Schwächen und Fehler duldete. Obgleich Sperber nahe daran gewesen war, diesen Mann während seines Noviziats zu hassen, betrachtete er den freimütigen Hochmeister nun als einen seiner engsten Freunde, und ihr Händedruck verriet ihre gegenseitige Zuneigung.
Dann drehte sich der große Ritter zu der Frau um. Sie war klein und von der seltsam anrührenden Vollkommenheit, die man manchmal bei zierlichen Menschen findet. Ihr Haar war schwarz wie die Nacht, ihre Augen tiefblau. Ihre Züge waren ganz offensichtlich nicht von elenischem, sondern jenem fremdartigem Schnitt, der sie als Styrikerin auswies. Sie trug ein weich fallendes, weißes Gewand, und vor ihr auf dem Tisch lag ein großes, aufgeschlagenes Buch. »Sephrenia!« grüßte er sie herzlich. »Wie gut Ihr ausseht!«
Er nahm ihre Hände in die seinen und küßte ihre Handflächen im rituellen styrischen Gruß.
»Ihr wart lange fort, Sperber«, erwiderte sie. Ihre Stimme war weich und melodisch mit leicht singendem Tonfall.
»Würdet Ihr mich segnen, kleine Mutter?« bat er, und ein Lächeln erhellte sein hartes Gesicht. Er kniete vor ihr nieder. Die Anrede war styrisch und wies auf die enge Bindung zwischen Lehrerin und Schüler seit alter Zeit hin.
»Gerne.« Ihre Hände berührten sanft sein Gesicht, und sie sprach die styrischen Worte des rituellen Segens.
»Danke«, sagte er schlicht.
Dann tat sie etwas, was bei ihr selten vorkam. Während ihre Hände noch sein Gesicht hielten, beugte sie sich vor und küßte ihn leicht. »Willkommen zu Hause, Lieber«, murmelte
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