Elenium-Triologie
Zeit ist jetzt, denn die Ereignisse haben die Menschheit an jenen Platz gebracht, wo sein Zweck erfüllt werden kann. Keine Macht der Welt könnte den Bhelliom daran hindern, wieder ans Tageslicht zu kommen, und ganze Nationen warten darauf. Ihr jedoch müßt derjenige sein, der ihn findet, denn nur in Eurer Hand kann sich seine volle Macht entfalten, die nötig ist, die bereits jetzt auf Erden lauernde Finsternis zurückzutreiben. Von nun an seid Ihr nicht mehr mein Streiter, Sperber, sondern der Streiter der ganzen Welt. Solltet Ihr versagen, wird es keine Hoffnung mehr geben.«
»Und wo soll ich suchen, mein König?«
»Das darf ich Euch nicht sagen. Ich kann Euch jedoch erklären, wie Ihr seine Macht entfalten könnt, wenn er erst in Euren Händen ist. Der Reif mit dem blutroten Stein an Eurem Finger und jener, der im Leben den meinen zierte, sind viel älter, als wir annahmen. Er, der dem Bhelliom die Form gab, fertigte auch diese Ringe. Sie sind die Schlüssel, die die Kräfte des Edelsteins freisetzen.«
»Aber Euer Ring ging verloren, Aldreas! Der Primas von Cimmura suchte immer wieder das ganze Schloß danach ab.«
Ein gespenstisches Kichern kam aus dem Sarkophag. »Ich habe ihn immer noch, Sperber. Nachdem meine teure Schwester mir den letzten und tödlichen Kuß gegeben hatte, war ich kurz bei klarem Verstand. Ich verbarg den Ring, damit er nicht meinen Feinden in die Hände fallen konnte. Trotz der verzweifelten Bemühungen des Primas' von Cimmura wurde er mit mir bestattet. Denkt zurück, Sperber. Erinnert Euch an die alten Sagen. Zu jener Zeit, als meine Familie und die Eure durch diese Ringe verbunden wurden, gab Euer Ahnherr dem meinen seinen Speer als Zeichen seiner Lehnstreue. Hiermit gebe ich ihn Euch zurück.«
Eine Geisterhand langte aus dem Sarkophag. Sie hielt einen Speer mit breiter Klinge und kurzem Schaft.
Es war eine sehr alte Waffe, deren symbolische Bedeutung im Lauf der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten war. Sperber streckte die Hand aus, um den Speer aus der Geisterhand Aldreas' entgegenzunehmen. »Ich werde ihn mit Stolz tragen, mein König.«
»Stolz ist etwas Hohles, Sperber. Die Bedeutung des Speeres ist weit größer. Löst die Klinge vom Schaft und blickt in den Klingenaufsatz.«
Sperber stellte seine Kerze ab, legte die Hand um die Klinge und drehte das feste Holz des Schaftes. Mit einem trockenen Quietschen trennten sich die beiden. Sperber blinzelte in den uralten Stahlaufsatz des Klingenteils. Das blutrote Glitzern eines Rubins funkelte ihm entgegen.
»Ich habe nur noch eine Anweisung für Euch, mein Streiter«, fuhr der Geist fort. »Solltet Ihr Eure Suche erst beenden können, nachdem meine Tochter sich mir im Haus der Toten angeschlossen hat, so ist es Eure Pflicht, den Bhelliom zu vernichten, obwohl Euch das ganz gewiß das Leben kosten wird.«
»Aber wie kann ich etwas vernichten, das solche Kräfte besitzt?« fragte Sperber zweifelnd.
»Bewahrt Ihr meinen Ring weiterhin an jenem Platz auf, an dem ich ihn versteckt hatte. Wenn alles gut geht, dann gebt ihn meiner Tochter zurück, sobald sie wieder gesund auf dem Thron sitzt; sollte sie jedoch sterben, so setzt die Suche nach dem Bhelliom trotzdem fort, wenn es sein muß, Euer Leben lang. Habt Ihr ihn schließlich gefunden, dann nehmt den Speer in die Hand, an dem Ihr Euren Ring tragt, und stoßt ihn mit aller Macht in das Herz des Bhelliom. Der Stein wird zersplittern, genau wie die Steine der beiden Ringe – und in diesem Augenblick werdet Ihr sterben. Zaudert nicht, Sperber! Ihr müßt es schaffen, denn eine finstere Macht schreitet über die Erde, und der Bhelliom darf nicht in ihre Hände fallen!«
Sperber verbeugte sich. »Es wird geschehen, wie Ihr befehlt, mein König!« gelobte er.
Ein Seufzen drang aus dem Sarkophag. »Dann ist es vollbracht«, wisperte Aldreas. »Ich habe getan, was ich konnte, um Euch zu helfen, und damit ist vollendet, was ich unbeendet ließ. Enttäuscht mich nicht, Sperber. Lebt wohl.«
»Gott mit Euch, Aldreas.«
Die Krypta war immer noch kalt und leer, von den Reihen königlicher Toter abgesehen. Das hohle Wispern war verstummt. Sperber schob die beiden Teile des Speeres wieder zusammen, ehe er die Hand in Höhe des Herzens auf die Brust des bleiernen Abbilds legte. »Ruhet in Frieden, Aldreas«, sagte er leise. Mit dem uralten Speer in der Hand wandte er sich um und verließ die Krypta.
DER RITTER VOM RUBIN
INHALT
Prolog
DIE GESCHICHTE DES HAUSES SPERBER
Erster
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