Elenium-Triologie
meisten lachten, und das schien die Stimmung zu entspannen. »Dieser Vormittag hat uns viel zum Nachdenken beschert, meine Brüder«, fuhr der wohlbeleibte Patriarch ernst fort. »Doch da Othas Armeen marschbereit in Ostlamorkand lagern, bleibt uns leider kaum Zeit für langes Überlegen.«
Dolmant gab Embans formlosem Antrag auf Mittagspause statt und begrenzte sie auf eine Stunde.
Auf Ehlanas Bitte schlossen sich ihr Sperber und Mirtai zu einem leichten Imbiß in einem kleinen Nebenzimmer an. Die junge Königin wirkte abwesend. Statt zu essen, kritzelte sie mit schnellen Federstrichen irgend etwas auf ein Stück Papier.
»Ehlana«, sagte Mirtai. »Eßt! Sonst werdet Ihr völlig abmagern.«
»Bitte, Mirtai«, wehrte die Königin ab. »Ich versuche, eine Rede aufzusetzen. Ich muß am Nachmittag eine Ansprache an die Hierokratie halten.«
»Du brauchst nicht viel zu sagen, Ehlana«, erklärte ihr Sperber. »Versichere ihnen, daß es dir eine Ehre ist, an ihrer Sitzung teilzunehmen, mach ein paar unschmeichelhafte Bemerkungen über Annias und rufe Gott an, die Wahl zu segnen.«
»Es ist das erste Mal, daß eine Königin eine Ansprache vor der Hierokratie hält, Sperber!« sagte sie scharf.
»Es hat schon vor dir Königinnen gegeben.«
»Ja, aber keine, die während der Wahl eines Erzprälaten auf dem Thron saß. Ich habe es nachgeschlagen. Dies ist das erste Mal in der Geschichte, und ich möchte mich nicht blamieren.«
»Das würdet Ihr aber, wenn Ihr vor Schwäche in Ohnmacht fallt«, sagte Mirtai nachdrücklich und schob Ehlanas Teller direkt vor ihre Nase. Mirtai, stellte Sperber fest, hatte die Seele eines Diktators.
Nach einem leichten Klopfen trat Talen spitzbübisch grinsend ein. Er verbeugte sich vor Ehlana. Dann wandte er sich an Sperber. »Ich wollte Euch nur schnell sagen, daß König Soros heute nachmittag keine Ansprache vor der Hierokratie halten wird. Ihr braucht Euch also keine Sorgen zu machen, daß Ihr als Gauner entlarvt werdet.«
»Wie kommt das?«
»Seine Majestät muß sich eine Erkältung geholt haben, die sich wohl auf seinen Hals geschlagen hat, denn er bringt kaum mehr als ein Flüstern hervor.«
Ehlana runzelte die Stirn. »Wie merkwürdig! Es war doch in letzter Zeit gar nicht so kalt. Ich wünsche dem König von Pelosien wirklich nichts Böses, aber ich bin froh, daß ihm das gerade jetzt passiert ist. So ein Glück für uns.«
»Mit Glück hat das wenig zu tun, Majestät.« Talen grinste. »Sephrenia hat sich fast die Kiefer ausgerenkt und die Finger verdreht, um den Zauber zu wirken. Entschuldigt mich bitte. Ich muß noch rasch Dolmant und Emban Bescheid geben und es natürlich Wargun melden, damit er Soros nicht den Schädel einschlägt, um ihn am Reden zu hindern.«
Nach dem leichten Mittagessen geleitete Sperber die beiden Damen zum Ratssaal zurück. »Sperber«, fragte Ehlana, kurz bevor sie eintraten, »magst du Dolmant?«
»Sehr sogar«, erwiderte er. »Dolmant ist einer meiner ältesten Freunde – und das nicht nur, weil er einmal Pandioner war.«
Sie lächelte. »Ich mag ihn auch.« Es hörte sich an, als wäre damit etwas beschlossen.
Dolmant eröffnete die Sitzung und ersuchte jeden der Monarchen um eine Ansprache. Wie Sperber es Ehlana erklärt hatte, erhob sich jeder König, dankte der Hierokratie, daß er teilnehmen durfte, machte ein paar Bemerkungen über Annias, Otha und Azash und bat Gott um seinen Segen für die Wahl.
»Und nun, meine Brüder und Freunde«, sagte Dolmant, »darf ich ankündigen, daß zum erstenmal in der Geschichte eine Königin hier zu uns reden wird.« Er lächelte leicht. »Keineswegs möchte ich die mächtigen Könige von Westeosien beleidigen, aber ich muß offen zugeben, daß Ehlana, die Königin von Elenien, viel liebreizender ist als sie, und ich glaube, es wird manche vielleicht überraschen, daß sie ebenso weise wie schön ist.«
Ehlana errötete anmutig, erhob sich und blieb ein paar Augenblicke mit gesenktem Kopf stehen, als habe Dolmants charmantes Kompliment sie verwirrt. »Ich danke Euch, Eminenz«, sagte sie schließlich mit klarer, klingender Stimme. Ihr Gesicht hatte wieder seine normale Farbe angenommen, und ihre Miene verriet Entschlossenheit.
Sperbers Herz machte einen Sprung. »Haltet Euch gut fest, meine Herren«, warnte er seine Freunde. »Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Ich glaube, sie hat ein paar Überraschungen für uns bereit.«
»Auch ich möchte der Hierokratie danken, daß sie mir erlaubt, hier
Weitere Kostenlose Bücher