Elenium-Triologie
anwesend zu sein«, begann Ehlana, »und ich bete mit meinen Brüdermonarchen, daß Gott diesen edlen Herren der Kirche Weisheit bei ihrer Wahl schenke. Da ich die erste Frau bin, die je in solch einer Zeit zur Hierarchie sprechen durfte, möchte ich die verehrten Patriarchen um Nachsicht bitten, wenn ich ein paar Bemerkungen anfüge. Falls meine Worte möglicherweise ungeziemend zu sein scheinen, bin ich doch überzeugt, daß die weisen Patriarchen mir verzeihen werden. Ich bin nur eine Frau und nicht sehr alt. Und wie allgemein bekannt, sind junge Frauen manchmal töricht in ihrer Aufregung.« Sie legte eine Pause ein.
»Aufregung, sagte ich?« Ihre Stimme schallte wie eine silberne Trompete. »Nein, meine Herren, Empörung trifft besser zu! Dieses Ungeheuer, diese eiskalte, blutleere Bestie, dieser – dieser Annias ermordete meinen geliebten Vater. Er beendete auf heimtückische Weise das Leben des weisesten und gütigsten Monarchen von ganz Eosien!«
»Aldreas?« wisperte Kalten ungläubig.
»Und dann«, fuhr Ehlana mit hallender Stimme fort, »genügte es diesem viehischen Wilden nicht, daß er mir das Herz gebrochen hatte, er versuchte auch noch, mich zu töten! Unsere Kirche ist jetzt besudelt, meine Herren, in den Schmutz gezogen, weil dieser Schurke sich als Gottesmann ausgab. Ich könnte als Bittstellerin hierherkommen, um Gerechtigkeit zu fordern, aber ich werde diesem Mann, der meinen Vater vergiftete, meiner eigenen Gerechtigkeit unterwerfen. Ich bin nur eine schwache Frau, doch ich habe einen Streiter, meine Herren, einen Mann, der auf mein Geheiß diesen monströsen Annias suchen und finden wird, auch wenn diese Bestie versucht, sich im Schoß der Hölle selbst zu verkriechen. Annias wird mir in die Augen sehen müssen. Das schwöre ich hier vor allen Anwesenden. Und Generationen noch Ungeborener werden im Gedenken an sein Geschick erzittern. Unsere Heilige Mutter Kirche braucht sich nicht damit zu befassen, über diesen Elenden zu richten. Die Kirche ist gütig, mitfühlend, aber ich , meine Herren, ich bin es nicht.« Soviel zu ihrer scheinbaren Achtung der Gebote der Kirche, dachte Sperber.
Ehlana hatte wieder eine Pause gemacht und das junge Gesicht in rachevoller Entschlossenheit gehoben. »Aber was ist mit diesem Amt?« Sie drehte sich um und blickte auf den behangenen Thron. »Wen werdet ihr auf diesen hohen Stuhl setzen, für den Annias bereit war, die Welt in Blut zu ertränken? Wem werdet ihr dieses prunkvolle Möbel auferlegen? Denn, versteht mich bitte nicht falsch, Freunde, mehr ist es nicht, nur ein schweres, unhandliches Möbelstück und, davon bin ich überzeugt, nicht sehr bequem. Wen werdet ihr dazu verurteilen, die schrecklichen Bürden der Sorge und Verantwortung auf sich zu nehmen, die mit diesem Stuhl übergeben werden, und die der Erwählte gezwungen sein wird, in dieser dunkelsten Stunde unserer Heiligen Mutter zu tragen. Er muß weise sein, das steht außer Frage, doch alle Patriarchen der Kirche sind weise. Er muß auch mutig sein, doch seid ihr nicht alle so mutig wie Löwen? Er muß scharfsinnig sein – und begeht nicht den Fehler, meine Herren der Kirche, Weisheit mit Scharfsinn zu verwechseln. Er muß schlau sein, denn er sieht sich dem Meister der Verschlagenheit gegenüber – nicht Annias, obwohl Annias heimtückisch genug ist; nicht Otha, der sich in seinen verworfenen Ausschweifungen suhlt, sondern Azash höchstpersönlich. Wer von euch kann sich an Kraft und List mit dieser Ausgeburt der Hölle messen?«
»Was macht sie?« wisperte Bevier wie betäubt.
»Ist das nicht sonnenklar, Herr Ritter?« murmelte Stragen höflich. »Sie wählt einen neuen Erzprälaten.«
»Das ist verrückt!« keuchte Bevier. »Die Hierokratie wählt den Erzprälaten!«
»Im Augenblick würden sie sogar Euch wählen, Ritter Bevier, wenn sie mit diesem niedlichen rosigen Finger auf Euch wiese. Seht Euch die Patriarchen doch an! Ehlana hat die gesamte Hierokratie völlig in ihrer zierlichen Hand.«
»Ihr habt Krieger unter euch, verehrte Patriarchen«, sagte Ehlana gerade. »Männer aus Stahl, mutige Männer, aber könnte ein bewaffneter Erzprälat es mit der Hinterlist Azashs aufnehmen? Ihr habt Theologen unter euch, hohe Herren der Kirche, Männer von so überragendem Intellekt, daß sie sogar den Geist und den Plan Gottes zu erkennen vermögen, aber wäre ein solcher Mann, der auf die Stimme der Göttlichen Wahrheit eingestellt ist, bereit, es mit dem Meister der Lüge aufzunehmen?
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