Elenium-Triologie
stetige Wind in den letzten Tagen, der sie mit Staub beinahe erstickt hatte, natürlichen Ursprungs war oder ob Bhelliom ihn gesandt hatte – jetzt war er verschwunden, und die Luft war klar und kalt. Der Himmel war von leuchtendem Blau, und die Sonne stand am Osthorizont, ohne Wärme zu schenken. Das und die Vision der letzten Nacht hob ihre Stimmung so weit, daß sie die schwarze Wolke hinter ihnen am Horizont ignorieren konnten.
Am Nachmittag gelangten sie zu einer steilen Felswand aus zerklüftetem schwarzem Gestein. Eine Art Pfad schlängelte sich zum Kamm empor. Als sie etwa die Hälfte hinter sich hatten, rief Talen Sperber von hinten zu: »Wie wär's, wenn wir anhalten? Ich schleiche voraus und schaue mich um.«
»Das ist zu gefährlich!« wandte Sperber ein.
»Nein, Sperber. Ich kann es! Ich bin ein ausgebildeter Schleicher. Niemand wird mich sehen, das verspreche ich.« Der Junge hielt inne. »Außerdem«, fügte er hinzu, »falls es Schwierigkeiten geben sollte, braucht Ihr die Hilfe wohlgerüsteter Erwachsener. Ich wäre Euch bei einem Kampf von keinem großen Nutzen, darum bin ich der einzige, den Ihr entbehren könnt.« Er verzog das Gesicht. »Ich kann nicht glauben, was ich da gerade gesagt habe. Ihr alle müßt mir versprechen, daß ihr mir Aphrael vom Leib haltet. Ich glaube, sie hat keinen guten Einfluß auf mich.«
»Vergiß es«, sagte Sperber entschieden.
»Nichts zu machen, Sperber«, rief der Junge. Er rollte aus dem Sattel und rannte, kaum daß er mit den Füßen am Boden war. »Keiner von euch erwischt mich!«
»Höchste Zeit, daß ich ihn übers Knie lege«, knurrte Kurik, während sie dem Jungen nachblickten, der behende den steilen Hang hinaufeilte.
»Aber er hat recht«, warf Kalten ein. »Er ist der einzige, den wir wirklich entbehren könnten. Er hat in letzter Zeit allerhand Edelmut entwickelt. Du solltest stolz auf ihn sein, Kurik.«
»Stolz würde mir nicht viel nützen, wenn ich seiner Mutter erklären müßte, wieso ich zugelassen habe, daß er sich umbringt.«
Talen war über ihnen so plötzlich verschwunden, als hätte die Erde sich geöffnet und ihn verschlungen. Doch einige Minuten später kam er aus einem Spalt nahe dem Kamm heraus und rannte zu ihnen zurück.
»Da draußen ist eine Stadt«, berichtete er. »Es kann eigentlich nur Zemoch sein, nicht wahr?«
Sperber zog seine Karte aus dem Sattelbeutel. »Wie groß ist sie?«
»So groß wie Cimmura.«
»Dann muß es Zemoch sein. Wie sieht sie aus?«
»Ich glaube, dergleichen hatte man vor Augen, als das Wort ›unheilvoll‹ erfunden wurde.«
»Stieg irgendwo Rauch auf?« fragte Kurik.
»Nur von den Schornsteinen zweier großer Gebäude in der Stadtmitte, die zusammenzugehören scheinen. Eines hat viele Türme, das andere eine große, schwarze Kuppel.«
»Dann wird die übrige Stadt verlassen sein«, meinte Kurik. »Wart Ihr schon einmal in Zemoch, Sephrenia?«
»Einmal.«
»Was ist das Haus mit den Türmen?«
»Othas Palast.«
»Und das mit der schwarzen Kuppel?« Kurik brauchte eigentlich nicht zu fragen. Alle kannten die Antwort auch so.
»Das Gebäude mit der schwarzen Kuppel ist der Tempel Azashs. Er ist dort – und wartet auf uns!«
26
Eine List anzuwenden hatte nie auch nur die Spur einer Chance bestanden, erkannte Sperber, als er und seine Gefährten ihre primitive Maskerade beendeten, um ihre Rüstung wieder anzulegen. Einfache Bauern und drittklassige Soldaten auf freiem Feld zu täuschen war eines, aber ohne aufgehalten zu werden durch eine nahezu verlassene Stadt zu reiten, in der Elitetruppen patrouillierten, war unmöglich. Zwangsläufig würden sie zu den Waffen greifen müssen, und das bedeutete in dieser Situation, daß sie die komplette Rüstung anlegen müßten. Kettenrüstung genügt vielleicht für überraschende gesellschaftliche Zusammenkünfte auf dem Land, dachte Sperber ironisch, doch für das Leben in der Stadt war mehr Förmlichkeit erforderlich.
»Also, wie sieht der Plan aus?« fragte Kalten, als die Ritter einander in die Plattenpanzer halfen.
»Ich habe noch keinen richtigen«, gab Sperber zu. »Um ganz ehrlich zu sein, ich habe nicht erwartet, daß wir überhaupt so weit kommen. Ich hatte gehofft, im besten Fall so nahe an Othas Stadt heranzukommen, daß ich sie durch die Vernichtung Bhellioms dem Erdboden gleichmachen könnte. Wir werden uns nun mit Sephrenia beraten müssen, sobald wir alle in unseren Rüstungen stecken.«
Seit dem frühen Nachmittag zogen
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