Elenium-Triologie
den Rükken fallen!«
»Das ist nicht nötig, Sperber«, versicherte Sephrenia.
»Ich weiß, aber dadurch sind sie aus dem Weg und kommen nicht zu Schaden«, antwortete Sperber leise. Er holte tief Atem. »Also los.« Er schlüpfte aus den Rüsthandschuhen, klemmte die Schwertklinge unter den Arm und nahm den Kettenbeutel vom Gürtel. Er öffnete den Draht, der als Verschluß diente, und schüttelte Bhelliom auf seine Handfläche. Der Stein brannte heiß auf seiner Haut, und Licht flackerte wie Wetterleuchten in einer Sommernacht zwischen den Blütenblättern. »Blaurose!« sagte er scharf. »Du mußt tun, was ich befehle!«
Otha, der halb kniete, halb kauerte, stammelte ein Gebet zu seinem Gott – ein Gebet, das durch sein Zähneklappern beinahe unverständlich war. Annias, Lycheas und Arissa knieten sich nieder und blickten zu der gräßlichen Fratze des Idols über ihnen empor. Grauen war in ihren Augen, als sie den Gott, für den sie sich so bereitwillig entschieden hatten, leibhaftig vor sich hatten.
»Azash!« flehte Otha. »Erwache! Erhöre das Gebet deiner Diener!«
Die tiefliegenden geschlossenen Augen des Idols öffneten sich langsam, und das grünliche Feuer loderte in ihnen. Sperber spürte, wie Woge um Woge schierer Bosheit aus diesen Augen auf ihn zu rollte. Er war wie betäubt und gelähmt durch die übermächtige Erscheinung des gräßlichen Gottes.
Das Idol bewegte sich! Eine Welle lief den Körper hinab, und die Tentakelarme griffen geschmeidig nach vorn – nach dem glühenden Stein in Sperbers Hand, dem einzigen Gegenstand auf der Welt, der Hilfe und Freiheit verhieß.
»Nein!« Sperbers Stimme war ein rauhes Schnarren. Er hob das Schwert über den Stein. »Ich vernichte ihn!« drohte er. »Und dich mit ihm!«
Das Idol schien zurückzuzucken, seine Augen füllten sich mit plötzlicher Bestürzung. »Warum hast du diesen unwissenden Wilden zu mir gebracht, Sephrenia?« Die Stimme klang hohl und hallte im Tempel wider. Sperber wußte, daß Azashs Geist ihn binnen eines Herzschlags vernichten konnte, doch aus irgendeinem Grund schien Azash Angst zu haben, seine Kräfte gegen diesen unwägbaren Mann zu richten, der die Saphirrose mit blankem Schwert bedrohte.
»Ich gehorche nur meiner Bestimmung, Azash«, antwortete Sephrenia ruhig. »Ich wurde geboren, um Sperber hierher vor dein Angesicht zu bringen.«
»Und was ist Sperbers Bestimmung? Weißt du, wozu er bestimmt ist?« Die Verzweiflung in Azashs Stimme war unüberhörbar.
»Das weiß weder Mensch noch Gott, Azash«, erwiderte Sephrenia ihn. »Sperber ist Anakha. Alle Götter haben von dem einen Tag gewußt und ihn gefürchtet – jenen Tag, da Anakha durch die Welt wandert, zu einem Ziel, das niemand kennt. Ich bin die Dienerin seiner Bestimmung, was immer sie sein mag, und habe ihn hierhergebracht, damit er dieses Ziel erreichen kann.«
Das Idol schien sich zu straffen; dann peitschte ein unwiderstehlicher magischer Befehl durch den Tempel, machtvoll und zwingend. Doch dieser Befehl war nicht an Sperber gerichtet.
Sephrenia keuchte und schien wie eine Blume im ersten Frost zu welken. Sperber spürte, wie ihre Entschlossenheit schwand. Sie schwankte, als Azashs mächtiger Geist ihre Verteidigung durchbrach.
Er spannte die Muskeln und hob das Schwert. Wenn Sephrenia fiel, wären sie verloren, und er wußte nicht, ob dann noch genug Zeit bleiben würde, den letzten, alles entscheidenden Streich zu führen. Er beschwor Ehlanas Gesicht vor sein inneres Auge und packte den Schwertgriff fester.
Der Laut war für niemanden außer Sperber zu hören. Das wußte er. Es war der durchdringende, befehlende Klang einer Hirtenflöte, der plötzlich durch den Tempel drang.
» Aphrael! « rief er voller Erleichterung.
Ein winziger Funke, gleich einem Glühwürmchen, erschien vor seinem Gesicht. » Endlich! « fauchte Flöte zornig. »Warum hast du so lange gebraucht, Sperber? Hast du nicht gewußt, daß du mich rufen mußt?«
»Nein. Das wußte ich nicht. Bitte, hilf Sephrenia!«
Da war keine Berührung, keine Bewegung, kein Laut, doch Sephrenia richtete sich auf und strich sich leicht über die Stirn, als die flammenden Augen des Idols sich auf den Funken richteten.
»Meine Tochter«, grollte Azash, »willst du das Los dieser Sterblichen teilen?«
»Ich bin nicht deine Tochter, Azash«, entgegnete Flöte. »Ich habe mich selbst erschaffen, wie auch meine Brüder und Schwestern, als du und deinesgleichen in kindischem Hader den Stoff der
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