Elfenbann
dem Weg, doch als sie Laurel erkannten, gaben sie den Weg frei.
Als sie zu dem Baum kam, der das Tor tarnte, sah sie, dass er von fünf Wachposten bewacht wurden, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Sie holte tief Luft und rief sich ins Gedächtnis, dass diese Krieger bei allem, wozu sie fähig waren, ihr nie etwas zuleide tun würden. Dann ging sie zu dem Wächter, der ihr am nächsten stand. »Ich bin Laurel Sewell, ein Herbstlehrling und Pfropfreis in der Menschenwelt. Ich habe etwas mit dem Winterelf Jamison, dem Ratgeber von Königin Marion, zu besprechen, und verlange Einlass in Avalon.«
Die Wächter waren von ihrem Auftritt schwer beeindruckt und verbeugten sich tief und respektvoll. Dann sahen sie Shar fragend an, der vortrat und sich ebenfalls verbeugte. Laurel bekam ein schlechtes Gewissen, aber das verdrängte sie.
»Selbstverständlich«, sagte Shar leise. »Ich werde dein Gesuch auf der Stelle weiterleiten. Doch ich muss darauf hinweisen, dass es den Winterelfen obliegt, ob sie das Tor öffnen oder nicht.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Laurel kühl. Sie war stolz, dass ihre Stimme nicht zitterte.
Shar verbeugte sich erneut, ohne sie jedoch anzusehen. Als er auf die andere Seite des Baums trat, wünschte Laurel, sie könnte hingehen und ihm dabei zusehen, wie er mit Avalon kommunizierte. Doch wenn sie das tat,
würde sie möglicherweise die Illusion von Macht zerstören, die sie ihrer Meinung nach mit Bravour aufrechterhielt. So wandte sie den Blick ab und versuchte, gelangweilt zu wirken, während die Minuten quälend langsam verstrichen.
Nach einer wahren Ewigkeit kam Shar hinter dem Baum hervor. »Sie schicken jemanden«, sagte er mit rauer Stimme, ohne sich ansonsten etwas anmerken zu lassen. Laurel wollte seinen Blick auffangen, doch obwohl er genau wie sie stolz das Kinn gereckt hatte, weigerte er sich, sie anzusehen.
»Gut«, sagte sie, als würde es sich von selbst verstehen. »Mein … äh … Bewacher … sollte mich begleiten.« Mit einer flüchtigen Kopfbewegung zeigte sie auf Tamani. Beinahe hätte sie den gälischen Ausdruck benutzt, mit dem Tamani seine Tätigkeit beschrieb, aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig aussprechen konnte.
»Selbstverständlich«, erwiderte Shar, der den Blick eisern gesenkt hielt. »Deine Sicherheit steht für uns an erster Stelle. Männer, die ersten zwölf: Vortreten«, befahl er.
Laurel spürte mehr als dass sie es sah, wie Tamani vorpreschen wollte, aber dann stemmte er doch beide Füße in den Boden.
Zwölf Wachposten stellten sich an eine große knorrige Stelle des Baumes und legten jeweils eine Hand darauf. Laurel erinnerte sich mit leiser Trauer daran, wie Shar Tamanis fast leblose Hand darauf gelegt hatte, als sie ihn nach dem Schuss von Barnes – halb tot – hierher gebracht hatte.
Sie ließ sich ihre Ehrfurcht nicht anmerken, als der
Baum sich vor ihren Augen verwandelte und mit einem grellen Blitz zu dem goldvergitterten Tor wurde, das Avalons Elfenreich beschützte. Hinter dem Tor war alles schwarz. Jamison war noch nicht da. Dann, wie wenn die Sonne hinter einer Wolke hervorkriecht, tauchten kleine Finger auf, die sich um die Gitterstäbe schlossen und das Tor schwungvoll öffneten. Licht erfüllte nun den Raum, der gerade noch in vollkommener Dunkelheit gelegen hatte.
Ein – nach menschlichen Maßstäben – etwa zwölfjähriges Mädchen stand auf der Schwelle des Tores. Sie erschien winzig vor dem gewaltigen Gitterwerk. Laurel wusste, dass die junge Elfe wahrscheinlich vierzehn oder fünfzehn war, denn sie kannte Yasmine, Jamisons Schützling. Laurel senkte den Blick und verbeugte sich, um ihr Respekt zu erweisen. Sie musste ihre Rolle jetzt durchziehen. Dann richtete sie sich auf und schaute sich um.
Beinahe hätte sie sich schon wieder aufgeregt.
Sie konnte es nicht ausstehen, wenn Tamani sich wie ein Frühlingself benahm. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und den Blick gesenkt. Seine Schultern fielen nach vorn und er sah sehr klein aus, obwohl er einen Kopf größer war als Laurel. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, sagte in ihrem besten Kommandoton: »Komm« und trat einen Schritt vor.
Die junge Winterelfe hob das Gesicht und lächelte Laurel an. »Wie schön, dich wiederzusehen«, sagte Yasmine mit einer niedlich melodischen Stimme. Dann wanderte ihr Blick zu Tamani, den sie ebenfalls anlächelte. »Und Tamani. Es ist mir ein Vergnügen.«
Tamanis Miene wurde
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