Elfenblick
fallen. Steinchen, die auf dem Gehweg oberhalb ihres Fensters lagen und gegen ihr Fenster fielen, wenn dort jemand entlangging.
Mageli versuchte, gleichmäßig ein- und auszuatmen, um ihr rasendes Herz zu beruhigen. Wieso prasselten kleine Steinchen gegen ihr Fenster? Wieso schlich um diese Zeit und bei diesem Wetter jemand auf dem Weg ums Haus und an ihrem Fenster vorbei?
Es blitzte wieder. Mageli starrte angestrengt zum Fenster. In ihrem Kopf stiegen all die Schatten und Schrecken aus den zahlreichen Büchern auf, die sie gelesen hatte. Da! War da nicht eine Gestalt vor dem Fenster zu sehen? Blödsinn! Vor ihrem Fenster befand sich eine kleine steile Böschung. Dort konnte niemand stehen! Aber so ganz überzeugt war Mageli nicht.
Der Donner ließ sie zusammenzucken und lenkte sie für einen Augenblick von ihren kreisenden Gedanken ab. Doch in der Stille danach prasselte wieder etwas gegen ihre Scheibe. Es klang, als ginge jemand unruhig vor ihrem Fenster auf und ab. Fast meinte sie, auch die Schritte auf dem Weg zu hören. Aber als sie sich noch ein bisschen mehr anstrengte, um zu hören, was vor ihrem Fenster passierte, war da nur Regen, der auf das Wellblechdach der Garage trommelte.
Und wenn sie sich einfach wieder hinlegte und so tat, als wäre nichts passiert? Nein, ihr Herz pochte so heftig, und sie spürte das Adrenalin durch den ganzen Körper pulsieren, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war!
Von der Küche aus könnte sie einen Blick auf den Weg vor ihrem Fenster werfen. Nur um sicherzugehen, dass dort niemand stand. Außerdem hatte Linda zum Nachtisch Vanillepudding gekocht. Der Rest war bestimmt noch im Kühlschrank. Und nichts war beruhigender als eine Portion Vanillepudding, wenn man schlecht geträumt hatte.
Mageli schwang sich also aus dem Bett und lief nur in ihrem dünnen Nachthemd und barfuß aus dem Zimmer. Trotz des Gewitters war es noch nicht merklich abgekühlt und außerdem sollte ihr nächtlicher Ausflug ja auch nicht ewig dauern. Nur mal schnell gucken, Vanillepudding holen und zurück ins Bett. Das war der Plan.
Leise schlich sie sich die Treppe hinauf. Im Haus sollte lieber niemand merken, dass sie auf der Jagd nach unheimlichen Gestalten durch die Gegend geisterte. Auch die Küche lag komplett im Dunkeln, von draußen drang kein Licht herein, die Straßenlaternen waren nur als schwarze Schatten zu erkennen. Vermutlich Stromausfall. Beim letzten großen Gewitter war das auch schon passiert.
Mageli brauchte kein Licht, sie konnte genug sehen, um nicht an die Küchenmöbel zu stoßen. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster und schaute angestrengt nach draußen: Die dunklen Umrisse der kleinen Bäume und Sträucher im Garten waren ebenso zu erkennen wie der niedrige Gartenzaun und die Straßenlaterne dahinter. Ihre Augen wanderten nach links, dort hinter der Hausecke lag unterhalb einer kleinen Böschung das Fenster ihres Kellerzimmers. Nichts! Niemand! Sie hatte es doch gewusst!
Schon wollte Mageli sich vom Fenster ab- und dem Kühlschrank zuwenden, um den Vanillepudding zu holen und in ihr Bett zurückzukriechen – als genau in diesem Augenblick ein Blitz die schwarzen Wolken aufriss. Und sie sah eine Gestalt, die sich direkt oberhalb ihres Fensters an den Zaun lehnte.
Ein erstickter Schrei drang aus ihrem Mund. Mit beiden Händen hielt Mageli sich an der Fensterbank fest, krallte ihre Finger um den kühlen Stein, bis ihre Knöchel schmerzten, und starrte aus dem Fenster.
Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie jetzt machen? Einfach zurück ins Bett kriechen und schlafen? Das konnte sie vergessen! Da half auch der beste Vanillepudding nichts. Die Polizei rufen!, dachte sie, verwarf die Idee aber sofort wieder. Bis der Streifenwagen kam, war der Fremde im Garten vielleicht schon längst verschwunden. Und wie sollte sie den Polizisten und vor allem ihrer Mutter erklären, dass sie mitten in der Nacht einen blinden Alarm ausgelöst hatte? Das würde sicher nur Ärger geben.
Schließlich fasste sie einen Entschluss: Ich gehe raus! Ich will wissen, wer das ist. Vielleicht kann ich mich ganz leise anschleichen, sodass er mich nicht bemerkt. Dunkel genug ist es ja. Sie wusste selbst nicht, woher dieser irre Plan plötzlich kam. Aber je länger sie darüber nachdachte, desto besser fand sie ihn. Wenn der Fremde ihr etwas antun wollte, konnte sie immer noch das Haus zusammenschreien, ja, die ganze Straße, wenn es nötig war.
Mit einem wehmütigen Blick zum Kühlschrank schlich
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