Elfenblick
Mageli zur Haustür. Unter der Garderobe lag Shakespeare auf seinem Kuschelkissen, den breiten Kopf zwischen den Vorderpfoten begraben, und schnarchte leise. Als Mageli die Klinke der Haustür drückte, blickte der Kater hoch und sah sie aus seinen gelben Augen eindringlich an. Lass es lieber , schien er zu sagen – und Mageli fragte sich für einen Moment, ob sie das Ganze nur träumte.
Kaum stand sie vor der Haustür, als sie der Regen schon vollständig durchweicht hatte. Das Nachthemd klebte an ihrem Körper und die Haare hingen in langen, nassen Strähnen über ihre Schultern.
Hier draußen vor der Tür wurde ihr schnell klar, dass sich ihr vager Plan schlecht würde umsetzen lassen. Lindas akkurat gestutzter Garten bot kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken und unbemerkt anzuschleichen. Wenn sie erst einmal um die Hausecke gebogen war, würde derjenige, der da wartete, sie sofort entdecken. Sie schob sich so nah wie möglich an der Hauswand entlang, der Rauputz scheuerte ihr den Arm auf. Mehrmals wäre sie fast ausgerutscht, denn der Regen hatte den Rasen in ein Schlammfeld verwandelt. Leise fluchend stützte sie sich mit der Hand an der rauen Mauer ab.
Sie erreichte die Ecke des Hauses und starrte angestrengt in die Richtung, in der sie den Fremden zuletzt gesehen hatte. Der Regen lief ihr in die Augen, was ihre Sicht nicht gerade verbesserte. Ja, da lehnte er immer noch bewegungslos am Zaun, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Regen schien ihm gar nichts auszumachen. Wenn Mageli es durch die Wasserwand richtig erkennen konnte, hatte der Fremde sogar den Kopf in den Nacken gelegt, als ließe er sich die Tropfen absichtlich ins Gesicht spritzen.
Mageli stutzte. Etwas an der Haltung dieses Fremden kam ihr bekannt vor. Sehr bekannt! Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Da vorne im strömenden Regen stand lässig gegen den Zaun gelehnt – Erin. Halb lief, halb rutschte sie zu ihm hinüber. Er war es. Tatsächlich. Stand da, völlig versunken, und bemerkte sie gar nicht, als sie auf ihn zukam. Erst als Mageli leise seinen Namen rief, blickte er sie an. Und lächelte. Als wäre es die normalste Sache der Welt, dass er mitten in der Nacht und mitten im heftigsten Unwetter in ihrem Garten stand.
»Wo …« Mageli verkniff sich die Frage lieber. Erin wusste natürlich trotzdem, was sie hatte sagen wollen, und grinste sie breit an. Sein Lächeln wirkte nicht traurig, wie es das sonst manchmal tat. Eher fröhlich, fast ausgelassen. Sofort schlug Magelis Herz noch eine Spur schneller.
»Was machst du denn hier im Regen?« Die Frage war nur wenig intelligenter als die, die Mageli sich verkniffen hatte. Erins Reaktion war dafür umso kurioser.
»Das ist Regen?«, fragte er erstaunt. »Das hatte ich mir viel unangenehmer vorgestellt. Ist doch eigentlich sehr schön, dieser Regen.«
»Du kennst keinen Regen?«, fragte Mageli verblüfft. Sie musste schmunzeln, als er den Kopf schüttelte und wie ein kleines Kind sein Gesicht den großen Tropfen entgegenhielt. Fehlte nur noch, dass er die Zunge rausstreckte. Doch dann dachte sie an das Gespräch, das sie mit Rosann erst am Nachmittag geführt hatte. Und das Lächeln verschwand auf der Stelle von ihren Lippen.
Du musst mit dem Quatsch aufhören! Rosann hatte ja recht. Was hatte Mageli davon, sich ihr blödes Leben schön zu träumen? Wohin sollte das führen, wenn der tollste Typ, den man sich vorstellen konnte, gar nicht wirklich existierte und sie selbst immer mehr in eine Traumwelt abdriftete? Alles an dieser Situation war unwirklich! Total verrückt! Da stand Erin glücklich in diesem Unwetter und behauptete, noch nie in seinem Leben Regen gesehen zu haben. Außerdem hatte er ihr eine Heidenangst eingejagt, weil er mitten in der Nacht einfach vor ihrem Fenster aufgetaucht war, anstatt erst mal anzurufen und sich mit ihr fürs Kino zu verabreden. So wie das vermutlich jeder andere Junge getan hätte, wenn er etwas von einem Mädchen wollte.
Auf einmal war Mageli richtig sauer. Auf Erin, weil er ihr diesen Riesenschreck eingejagt hatte und weil er nicht war wie jeder andere Junge, sondern etwas ganz Besonderes – nur leider nicht real. Und sie war sauer auf sich selbst. Weil sie so gerne wollte, dass dies alles echt war und dass sie nicht bloß träumte und jederzeit aufwachen konnte, mit den schönsten Erinnerungen, aber ohne Aussicht auf ein richtiges Happy End.
»Verschwinde!«, fauchte sie Erin an.
Der schaute sie nur verblüfft an.
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher