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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem kratzig aussehenden Stoff bestand (der sich als genau das herausstellte, als sie es überzog) und wie ein Sack an ihr herunterhing. Es gab keinen Spiegel in Bracks Zimmer, aber Pia schätzte, dass sie ungefähr so schick aussah wie eine Wurstpelle. Wenigstens fühlte sie sich so.
    Es klopfte. »Darf ich … hereinkommen?«, drang Bracks Stimme durch das morsche Holz.
    Pia zögerte nicht nur zu antworten, sondern suchte auch zuerst aufmerksam die Tür nach einem Schlüsselloch oder irgendeiner anderen Öffnung ab, durch die Brack sie möglicherweise beobachtet haben konnte, während sie sich umzog. Aber da war nichts. Vielleicht tat sie Brack ja unrecht.
    Was ihm allerdings nur recht geschah, wenn er ernsthaft von ihr erwartete, so etwas zu tragen.
    Das Klopfen wiederholte sich. Statt zu antworten, ging sie hin und riss die Tür auf, und Brack prallte erschrocken zurück, fing sich aber sofort wieder und maß sie mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß. Ein einziges falsches Wort, dachte sie, und er würde es bitter bereuen – sobald er wieder zu sich gekommen war, hieß das.
    »Perfekt«, sagte Brack.
    »Ich weiß«, nörgelte Pia. »Aber in deiner Lumpensammlung war …« Sie stockte. Blinzelte. »Wie?«
    »Ja, ich weiß, du bist wahrscheinlich Besseres gewohnt, da, wo du herkommst, aber für den Moment wird es genügen«, sagte Brack. »Ich schicke Lasar gleich morgen früh auf den Markt, um Stoff zu kaufen, doch für heute Abend reicht das sicher. Es steht dir gut.«
    »Gut?«, wiederholte Pia zweifelnd. Sie sah noch zweifelnder an sich hinab. Der Stoff dieses prachtvollen Kleidchens fühlte sich nicht nur ungefähr so weich und anschmiegsam an wie Schmirgelpapier, er bedeckte auch nahezu jeden Quadratzentimeter ihres Körpers. Dass der Saum nicht bis zum Boden reichte, lag einzig daran, dass seine ehemalige Besitzerin ein gutes Stück kleiner gewesen sein musste als sie. Die Ärmel bedeckten noch einen Großteil ihrer Handflächen, und das Dekolleté zeichnete sich vor allem durch Nichtexistenz aus. Alles oberhalb des Halses hing in Fetzen, aber wenn man diese Fetzen in Gedanken vervollständigte, dann kam man auf etwas, das ziemliche Ähnlichkeit mit einem spätmittelalterlichen Rüschenkragen hatte, wie ihn Geistliche und später reiche Kaufleute getragen hatten.
    »Das ist … äh …«
    »Für heute Abend wird es reichen«, sagte Brack noch einmal. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass so viele Gäste kommen.«
    »Natürlich nicht. Deshalb hast du ja auch jedem in der Stadt erzählt, dass Alica und ich hier sind, nicht wahr?«
    »Nicht jedem!«, versicherte Brack.
    Nein, dachte Pia. Vermutlich nicht. Nur jedem, den du kennst. Gegen ihren Willen musste sie lachen. »Also komm. Sorgen wir für ein bisschen Umsatz in deiner Kaschemme. Wahrscheinlich sind wir dir das schuldig.«

XIV
    D er nächste Morgen begann mit einer für Pia fast erschreckenden Erfahrung: Es war das zweite Mal hintereinander, dass sie mit dem ersten Licht des neuen Tages ganz von selbst wach wurde, obwohl ihr der vergangene Abend (beziehungsweise die Nacht) noch gehörig in den Knochen steckte. Sie hatte es irgendwann aufgegeben, ständig auf ihre innere Uhr zu sehen und sich zu fragen, wer zuerst schlappmachen würde: die Meute trinkfester Gäste, die immer betrunkener und lauter wurde und dem Weißen Eber einen Umsatz bescherte, der wahrscheinlich größer war als der der zurückliegenden drei Monate zusammen, oder sie.
    Brack hatte nicht einmal viel von ihr verlangt; im Grunde nicht mehr, als hinter der Theke zu stehen, sich von den Gästen begaffen zu lassen und dann und wann einen Krug Bier zu füllen, den Alica und Lasar dann an die Tische brachten, während Brack selbst seine Aufgabe eher darin sah, mit den Gästen zu tratschen und immer wieder viel zu laut und viel zu unecht zu lachen und Unmengen von Münzen einzustreichen. Irgendwann, vielleicht gegen drei oder noch später, hatte er den letzten Zecher vor die Tür gesetzt, und sie war zu Tode erschöpft nach oben gewankt und praktisch auf der Stelle eingeschlafen.
    Trotzdem erwachte sie mit dem ersten Sonnenstrahl, der durch das schmale Fenster fiel. Und nicht nur das. Sie fühlte sich noch immer wie gerädert und hatte zu allem Überfluss hämmernde Kopfschmerzen, aber tief in sich verspürte sie das absurde Wissen, dass es richtig war, so früh aufzustehen.
    Nein, diese Welt bekam ihr ganz eindeutig nicht.
    Sie schloss noch einmal die Augen, versuchte, erneut

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