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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schon seit einer geraumen Weile unbewohnt zu sein. Überall lagen Trümmer, Berge von Schutt und zerbrochene Balken – viele davon verbrannt und ein paar grotesk dick – und überall war Schnee. Die Luft war so kalt, dass sie auf ihrem Gesicht prickelte.
    »Wo zum Teufel sind wir hier?«, stieß sie hervor.
    »Keine Ahnung«, brummelte Jesus. »Aber es gefällt mir nicht.«
    Pia noch viel weniger. Sie fragte sich verwirrt, wo sie eigentlich waren. Dieses Haus war heruntergekommen, verfallen und vor langer Zeit von seinen Bewohnern verlassen worden, doch damit hörte die Ähnlichkeit mit den Gebäuden, die sie in diesem Teil der Favelas erwartet hatte, auch schon auf.
    Von dem Schnee und der Kälte gar nicht zu reden.
    Sie setzte zu einer entsprechenden Bemerkung an, besann sich dann aber eines Besseren und machte stattdessen ein paar vorsichtige Schritte zur Seite, um sich noch einmal und aufmerksamer umzusehen. Sie versuchte den Schnee und die unmöglichen Temperaturen auszublenden und sich nur auf das zu konzentrieren, was sie sah, wodurch es auch nicht unbedingt besser wurde. Abgesehen von zerbröckelndem Mauerwerk, verkohlten Balken und heruntergestürzten Dachpfannen glaubte sie auch die Reste hoffnungslos zerstörten Mobiliars zu erkennen. Das meiste davon war verbrannt, und das wenige, das sich überhaupt noch identifizieren ließ, schien nicht nur ausnahmslos aus Holz oder rostigem Metall zu bestehen, sondern auch absolut altmodisch zu sein: ein zusammengestürzter Schrank mit geschnitzten Türen, ein gusseiserner Topf unbekannten, aber ziemlich ekelhaft aussehenden Inhaltes, etwas, das gut die zersplitterten Reste eines altmodischen Kinderbetts sein konnte … und war das dort drüben in der Ecke ein Webstuhl?
    So wie es hier aussah, dachte sie, gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie waren in eine Art Zeitloch gestürzt und zwei oder noch mehr Jahrhunderte weit in die Vergangenheit gefallen, oder hier hatte jemand mit einem ausgesprochenen Faible für Antiquitäten oder einfach alten Kram gehaust.
    Und für Schnee.
    Benutzt das Tor, Gaylen!
    Pia schüttelte den Gedanken ab und zwang sich auf den (kalten) Boden der Tatsachen zurück. Das hier war ziemlich seltsam, um nicht zu sagen verrückt, aber sie würde ganz gewiss eine logische Erklärung für alles finden, wenn sie erst einmal hier heraus- und ein bisschen zur Ruhe gekommen war. Und das war das allerwichtigste: hier herauszukommen.
    Sie drehte sich herum, erwartete, das Tor zu erblicken, durch das sie hereingekommen waren, aber es war nicht da. Wo es sein sollte, erstreckte sich das zerstörte Innere des Gebäudes auf mindestens zehn oder fünfzehn Metern, bevor es in grauer Dämmerung verschwand, und irgendetwas bewog sie dazu, ganz bestimmt nicht nach oben zu sehen, um den Himmel über dem zerborstenen Dach anzublicken. Sie wusste einfach, dass es ihr nicht gefallen hätte.
    »Verschwinden wir von hier«, sagte sie unbehaglich.
    »Nichts dagegen«, stimmte Jesus zu. »Wenn du mir auch noch sagst …«
    Diesmal war es Pia, die ihn mit einer erschrockenen Handbewegung zum Schweigen brachte. Hastig ließen sie sich nebeneinander in die Hocke sinken und erstarrten zur Reglosigkeit. In ihrer unmittelbaren Nähe gab es nichts, das als Versteck hätte dienen können, aber Pia griff nach den Schatten und verwandelte sie in einen schützenden Mantel, der sie zuverlässig allen neugierigen Blicken entzog.
    Schritte und Stimmen, die nach wie vor in einer ihr völlig unbekannten Sprache redeten, kamen wieder näher, und sie identifizierte zwei, drei Gestalten, die alle sonderbar gedrungen aussahen. Als sie noch näher kamen, sah sie auch, warum. Die Männer – alle drei hatten ungepflegtes langes Haar und dazu passende Bärte – trugen schwere Umhänge oder Mäntel aus struppigem Fell, und wenn sie sich bewegten, klimperte es darunter, ganz ähnlich wie bei dem seltsamen Fremden, der sie gerettet hatte, nur irgendwie nicht so … sauber.
    Die Männer blieben in kaum drei Metern Entfernung stehen und redeten eine gute Minute in ihrer seltsamen Sprache miteinander, bevor sie sich wieder entfernten. Pia blinzelte ein paarmal und klammerte sich tatsächlich an die kindische Hoffnung, dass sie nur die Augen aufzumachen brauchte, um aus diesem bizarren Traum zu erwachen und sich in ihrer gewohnten Umgebung wiederzufinden.
    Es funktionierte nicht. Die drei Steinzeitmenschen verschwanden, aber das unmögliche Gebäude, die Kälte und der Schnee und

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