Elfenkrieger (Mithgar 02)
sagte: »Wenn man einigen der Priester in Ryodo Glauben schenken kann, ist das vielleicht eine Seele, die wartet. Sie behaupten, dass die Seelen der Verstorbenen hier in dieser Welt wiedergeboren werden.«
Ferai sah die Ryodoterin an. »Wiedergeboren?«
»Nicht, dass ich es für wahr halte«, sagte Aiko.
»Nur weiter«, forderte Burel sie auf.
Aiko seufzte. »Sie glauben, jedes Lebewesen hat eine Seele, sei es ein Wurm oder ein Schmetterling, ein Fisch, ein Adler, eine Person oder…«
»Was ist mit Pflanzen?«, unterbrach Ferai.
Aiko schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Egil sah Arin an. »Nicht einmal die Greisenbäume?«
Aiko zuckte die Achseln. »Das kann ich nicht sagen. Es ist nicht mein Glaube, und daher habe ich seine Lehren nicht eingehend studiert.«
Burel beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Fahrt fort, edle Aiko. Ich möchte gern hören, was Ihr zu sagen habt. Was passiert mit diesen Seelen?«
Aiko schenkte ihm eines ihrer seltenen Lächeln. »Eine bestimmte Seele, sagen wir Eure, nimmt mit jedem Tod und jeder Wiedergeburt eine höhere Form an, bis sie das Menschsein erreicht. Wenn Ihr dann ein ehrenvolles Leben lebt, gelangt Ihr auf eine höhere Seinsebene. Doch wenn Ihr in Schande lebt, wird Euer Status nach der Wiedergeburt niedriger sein. Wenn Euer Leben unehrenhaft genug war, könntet Ihr sogar als Wurm zurückkehren… oder Schlimmeres.«
»Du meine Güte«, flüsterte Delon. »Da sollte ich wohl besser aufpassen.«
Doch Burel sah Aiko aufmerksam an. »Und wenn eine Person, wenn ich bei jeder Wiedergeburt in großer Ehre lebe und niemals zurückfalle?«
»Dann gelangt Ihr letzten Endes ins Paradies. Man hat mir gesagt, dass dies die letzte Stufe ist und der Kreislauf dann endet. Es heißt, dies sei der wahre Zweck des Lebens: zu lernen, zu wachsen, den Kreislauf der vielen Leben zu durchwandern, um am Ende ins Paradies zu kommen.«
»Und viele glauben das?«
Sie nickte. »In Ryodo ja. Ich selbst glaube nicht an Seelen und ein Leben nach dem Tod.«
Sie aßen eine Weile schweigend weiter, und dann sagte Delon: »Sagt mir, Aiko, wenn der Tod endgültig ist und es danach nichts mehr gibt, was spielt es dann für eine Rolle, was wir im Leben tun? Warum nehmen wir uns dann nicht einfach alles, was wir wollen, ganz egal, was wir anderen damit antun? Ich meine, wenn nach dem Tod nichts mehr kommt – keine Belohnung, keine Bestrafung, keine Wiedergeburt in einen höheren oder niedrigeren Zustand –, warum tun wir dann nicht einfach, was immer uns in den Sinn kommt?«
Ferai sah Delon an. »Ihr meint…?«
»Ich meine rauben, morden, schänden – unsere dunkelsten Gelüste befriedigen, tun, was immer uns beliebt.«
Ferai blickte zu Boden, als könne sie ihm nicht in die Augen sehen, doch Aiko sagte: »Es liegt keine Ehre in dem, was Ihr da vorschlagt.«
»Das ist mir klar«, erwiderte Delon, »aber was soll’s? Ich meine, warum nicht unehrenhaft sein? Sich nehmen, was immer man begehrt? Wenn der Tod das Ende ist, spielt es auf lange Sicht keine Rolle.«
»Hai, nach dem Tod vielleicht nicht«, sagte Aiko. »Aber im Leben schon. Ehrenhafte Leute mögen manchmal die Taten der Unehrenhaften fürchten. Unehrenhafte Leute fürchten nicht nur die Taten von ihresgleichen, sondern auch die gerechte Bestrafung und Vergeltung. Wenn wir alle in Unehre lebten, würden wir alle in Furcht leben. Aber wenn alle ehrenvoll leben und einander achten, können alle behaglich und frei von Furcht leben.«
Delon hob einen Finger. »Ist es im Wesentlichen nicht so? Ich meine, wir leben alle einigermaßen frei von Furcht und behaglich unter der Gerechtigkeit des Königs.«
»Ha!«, meldete Ferai sich zu Wort. »Ich habe nichts für die Gerechtigkeit des Königs übrig.«
Delon sah sie an.
»Ich war unschuldig«, verkündete sie.
»Fehler werden gemacht, mein Schatz. Ich wollte damit sagen, ist es nicht so, dass die Leute unter der Herrschaft von Königen und Fürsten im Wesentlichen frei von Furcht leben?«
Arin stellte ihre Tasse ab und sagte: »Nein, Delon, es ist nicht so. Denkt an Gudrun. War ihre Gerechtigkeit frei von Furcht? Leben dort alle einigermaßen behaglich? Wenn ja, was ist mit den Leibeigenen? Bedenkt, sie heißt Sklaverei gut, und das tun viele Monarchen. Tatsächlich fürchte ich, dass es sehr viel Ungerechtigkeit in der Welt gibt, Könige hin oder her. Aber das entschuldigt weder Eigensucht noch Willkür. Aiko hat Recht: Wir könnten alle behaglich und frei von Furcht leben, wenn
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