Elfenkuss
wählte mehrere Tops aus. Nachdem sie geprüft hatte, ob die Luft rein war, rannte sie ins Badezimmer zurück. Sie schwor sich, noch am gleichen Tag einen Spiegel für ihr Zimmer zu kaufen. Die Tür knallte lauter zu als beabsichtigt, aber als sie ihr Ohr an das kühle Holz legte, war von ihrer Mutter nichts zu hören.
Das erste Top passte erst gar nicht über die Riesenblume. Sie starrte sie im Spiegel an. Das musste irgendwie anders gehen.
Sie nahm so viele lange weiße Blütenblätter wie möglich und versuchte, sie sich um die Schultern zu binden. Das ging auch nicht besonders gut. Außerdem wollte sie nicht den Rest ihres Lebens – wie lang das auch dauern mochte – Sachen mit Ärmeln anziehen.
Stattdessen zog sie die Blätter unter ihre Arme und wickelte sie sich um den Bauch. Das klappte besser, viel besser. Dann nahm sie einen langen Seidenschal, schlang ihn sich um die Taille und band die Blätter damit fest. Schließlich knöpfte sie die Jeans über dem Schal zu. Es tat immer noch nicht weh, aber sie fühlte sich eingeengt und halb erstickt. Trotzdem, das war besser als nichts. Sie zog eine leichte Rüschenbluse über das Ganze und schaute verzagt in den Spiegel.
Gar nicht schlecht. Der Stoff der Bluse bauschte sich ohnehin, sodass niemand ahnen konnte, was sich darunter verbarg. Nicht einmal von der Seite fiel die leichte Wölbung auf, und wenn sie ihre Haare noch darüber bürstete, würde niemand etwas merken. Ein kleines Problem gelöst.
Blieben noch hundert große.
Das ging weit über irgendein seltsames Pubertätssymptom hinaus. Stimmungsschwankungen, entstellende Akne, selbst Blutungen, die monatelang andauerten, lagen im Bereich des Normalen. Aber dass man aus einem softballgroßen Pickel riesige Blütenblätter auf dem Rücken bekam? Das war etwas völlig anderes. Nur was? So was kam in billigen Horrorfilmen vor! Selbst wenn sie sich dazu durchrang, es jemandem zu erzählen, wer würde ihr glauben? Niemals, nicht in ihren schlimmsten Albträumen, hätte sie sich vorstellen können, dass ihr so etwas zustoßen könnte.
Das würde alles zerstören. Ihr Leben, ihre Zukunft. Als wäre das alles in einem Augenblick weggeschwemmt.
Im Badezimmer war es ihr plötzlich zu warm. Zu eng, zu dunkel … zu alles. In dem verzweifelten Wunsch, sich so weit wie möglich vom Haus zu entfernen, flitzte Laurel durch die Küche, nahm eine Dose Limo und öffnete die Hintertür.
»Gehst du spazieren?«
»Ja, Mom«, antwortete sie, ohne sich umzudrehen.
»Viel Spaß.«
Laurel gab leise ein unverbindliches Geräusch von sich.
Sie stapfte in den Wald, ohne auf die taubedeckte Landschaft zu achten. Dort wo der westliche Horizont ins Meer überging, waberte immer noch letzter Nebel, aber oben am Himmel war es blau und klar, und die Sonne wanderte stetig zum Zenit. Es wurde wirklich schön. Typisch. Sie hatte das Gefühl, Mutter Natur machte sich über sie lustig. Ihr Leben brach zusammen, und doch war alles um sie herum wunderschön, wie um ihr den Rest zu geben. Sie versteckte sich hinter einer Ansammlung von Bäumen außer Sichtweite ihres Hauses und der Straße; doch das reichte nicht und sie ging weiter.
Nach einigen Minuten blieb sie stehen und lauschte, ob irgendwer oder irgendwas in der Nähe war. Als sie sich sicher fühlte, schob sie ihre Rüschchenbluse hinten hoch und löste den beengenden Schal. Laurel seufzte erleichtert, als die Blütenblätter in ihre normale Position auf ihrem Rücken zurückschnellten. Es fühlte sich wie die Befreiung aus einem winzigen Kästchen an.
Ein Sonnenstrahl schien durch einen Spalt zwischen den Bäumen und zeichnete ihre Silhouette ins Gras. Der Umriss ihres Schattens sah wie ein Riesenschmetterling mit hauchdünnen Flügeln aus, und so wie Blasen seltsame Schatten werfen, lag ein Hauch Blau im Schwarz. Laurel versuchte, die flügelähnlichen Teile zu bewegen, doch obwohl sie sie spürte, sogar jeden Zentimeter, so wie sie das Sonnenlicht aufsogen, gehorchten
sie ihr nicht. Etwas, das ihr Leben derart auf den Kopf stellte, sollte nicht so schön sein.
Sie starrte lange auf ihr Bildnis am Boden und überlegte. Sollte sie es ihren Eltern erzählen? Sie hatte sich selbst geschworen, es am Montag zu tun, wenn der Knubbel bis dahin nicht verschwunden wäre. Also, weg war er immerhin.
Laurel zog einen langen Streifen über ihre Schulter und strich mit den Fingern darüber. Es war so zart. Und es tat nicht weh. Vielleicht geht es ja einfach wieder weg , dachte sie
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