Elfenkuss
optimistisch. Das sagte ihre Mutter immer. Die meisten Sachen gehen nach einer Weile weg. Vielleicht … vielleicht würde alles wieder gut.
Gut? Das Wort dröhnte in ihrem Kopf, hallte in ihrem Schädel wider. Eine Mega-Blume wächst aus meiner Wirbelsäule. Wie soll das jemals wieder gut werden?
Während ihre Gefühle wie Wirbelstürme tobten, konzentrierten sich ihre Gedanken auf einmal auf David. Vielleicht konnte David sich einen Reim darauf machen. Es musste eine wissenschaftliche Erklärung geben, und er hatte ein Mikroskop – sogar ein sehr gutes, wenn sie ihn richtig verstanden hatte. Vielleicht konnte er sich ein Stück dieser seltsamen Blume ansehen und ihr erklären, was das war. Selbst wenn auch er daraus nicht schlau wurde, konnte es nicht schlimmer kommen als in diesem Moment.
Sie wickelte den Schal wieder um die Blume und ging schnell nach Hause, wo sie beinahe mit ihrem Vater zusammenstieß, als er in die Küche schlurfte.
»Dad!«, sagte sie überrascht. Diese Begegnung zerrte nur noch mehr an ihren ohnehin gereizten Nerven. Er bückte sich und küsste sie auf den Scheitel. »Guten Morgen, du Schöne.« Als er ihr den Arm um die Schultern legte, rang Laurel nervös nach Luft und hoffte, dass er die Blätter nicht durch die Bluse spürte.
Andererseits merkte ihr Vater vor der zweiten Tasse Kaffee sowieso nicht viel.
»Warum bist du schon auf?«, fragte sie mit leicht bebender Stimme.
Er stöhnte. »Ich muss den Laden aufschließen. Maddie musste sich freinehmen.«
»Stimmt«, sagte Laurel geistesabwesend und versuchte, diese Störung der normalen Routine nicht als schlechtes Omen zu deuten.
Ihr Vater wollte den Arm schon wegziehen, als er innehielt und an ihrer Schulter schnupperte. Laurel erstarrte. »Du riechst gut. Das Parfüm kannst du öfter nehmen.«
Laurel nickte und betete, dass ihr die Augen nicht aus dem Kopf fielen. Dann wand sie sich aus der Umarmung, schnappte sich das schnurlose Telefon und lief die Treppe hinauf.
In ihrem Zimmer starrte sie das Telefon lange an, bevor sie ihre Finger dazu bewegte, Davids Nummer zu wählen. Er nahm beim ersten Klingeln ab. »Hallo?«
»Hallo«, sagte sie schnell, damit sie nicht direkt wieder auflegte.
»Hallo, Laurel! Was ist los?«
Sekunden des Schweigens.
»Laurel?«
»Ja?«
»Du hast mich angerufen.«
Stille.
»Kann ich rüberkommen?«, platzte sie heraus.
»Äh, ja klar. Wann?«
»Sofort?«
Sechs
N ach dem Anruf stellte Laurel den Stuhl wieder unter die Klinke, hob ihre Bluse hoch und zog einen der langen, weiß-blauen Streifen aus dem pinkfarbenen Schal. So harmlos, wie er in ihrer Hand aussah, konnte sie beinahe vergessen, dass er aus ihrem Rücken wuchs. Nachdem sie die Nagelschere ihrer Mutter geholt hatte, betrachtete sie das Ende des Blütenblattes. Sie würde kein großes Stück brauchen und wählte schließlich ein kleines gebogenes Stück an der gekräuselten Spitze aus. Dann wappnete sie sich und brachte die glänzende Schere in Position. Am liebsten hätte sie die Augen zugemacht, aber sie fürchtete, dann noch mehr Schaden anzurichten. Schweigend zählte sie eins, zwei, drei! Eigentlich wollte sie bis fünf zählen, schimpfte mit sich selbst und hob erneut die Schere. Eins, zwei, drei, vier, fünf! Als sie zudrückte, schnitt die Schere sauber durch das Blütenblatt, und etwas kleines Weißes flog auf ihre Tagesdecke. Laurel hielt die Luft an und hüpfte ein paar Sekunden auf und ab, bis der Schmerz nachließ und sie die Wunde näher untersuchte. Es blutete nicht, aber ein wenig klare Flüssigkeit trat aus, die Laurel mit einem Handtuch abtupfte.
Dann steckte sie das Blatt vorsichtig in den Schal zurück, packte das kleine Stück in ein Tuch und steckte es in die Tasche.
Während sie die Treppe hinunterhüpfte, versuchte sie, so sorglos wie möglich zu wirken. Sie rauschte an ihren Eltern vorbei, die am Frühstückstisch saßen, und sagte nur kurz: »Ich gehe zu David.«
»Moment«, sagte ihr Vater.
Laurel blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
»Wie wäre es mit ›darf ich zu David gehen?‹«
Mit einem gezwungenen Lächeln drehte Laurel sich um. »Darf ich zu David gehen?«
Er schaute nicht einmal von seiner Zeitung hoch und trank einen Schluck Kaffee. »Klar. Viel Spaß.«
Laurel zwang sich, ganz normal zur Tür zu gehen, aber kaum war sie hinter ihr zugefallen, rannte sie zu ihrem Fahrrad und stieg in die Pedalen. Es war nicht weit zu David, sodass sie kurz darauf ihr Rad an seine Garage lehnte.
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