Elfenkuss
Strand.
Chelsea hat gesagt, sie würde kommen, und Ryan, Molly und Joe auch. Und ein paar andere haben gesagt, vielleicht.«
Essen, Sand und ein rauchendes Feuer. Das klang alles nicht nach Spaß.
»Es ist kalt geworden, mit dem Schwimmen wird es wohl nichts, aber … na ja, irgendwer wird immer reingeworfen. Voll witzig.«
Laurels falsches Lächeln verblasste. Das Gefühl von Salz auf ihrer Haut konnte sie nicht ausstehen. Sie spürte es sogar noch nach dem Duschen – als wäre das Salz von ihren Poren aufgenommen worden. Als sie vor Jahren das letzte Mal im Meer geschwommen war, war sie noch Tage danach lasch und müde gewesen. Abgesehen davon könnte sie ihren Knubbel – oder was immer es war – dabei nie verbergen, schon gar nicht im Badeanzug!
Es schauderte sie bei der Vorstellung, wie groß er in zwei Tagen sein würde. Sie konnte da nicht hingehen, selbst wenn sie wollte. »David, ich …« Sie fand es schrecklich, ihn zu enttäuschen. »Ich kann nicht.«
»Und warum nicht?«, fragte David.
Sie könnte sagen, dass sie in der Buchhandlung aushelfen musste – in den letzten Wochen hatte sie ihrem Dad beinahe jeden Samstag geholfen -, aber sie brachte es nicht über sich, ihn anzulügen. Nicht David. »Ich kann einfach nicht«, murmelte sie und ging, ohne sich zu verabschieden, in den Klassenraum.
Am Freitagmorgen war der Knubbel so groß wie ein
Softball. Es war eindeutig ein Tumor. Laurel machte sich nicht einmal die Mühe, ins Badezimmer zu gehen, um nachzusehen. Sie spürte es.
Kein T-Shirt konnte das mehr verbergen.
Laurel musste die hintersten Sachen aus ihrem Schrank räumen, bis sie ein bauschiges Ballontop fand, womit sie die Schwellung wenigstens überspielen konnte. Sie wartete in ihrem Zimmer, bis es fast so weit war, dass sie zur Schule musste, und rannte dann nach unten und aus der Tür, wobei sie ihren Eltern nur ein eiliges »Guten Morgen« und »Tschüs« zurief.
Der Tag zog sich ewig hin. Die Beule kribbelte jetzt die ganze Zeit, nicht mehr nur bei Berührung. Laurel konnte an nichts anderes mehr denken, es war wie ein ständiges Summen in ihrem Kopf. In der Mittagspause war sie nicht ansprechbar und schämte sich dafür, aber sie konnte sich auf nichts und niemanden konzentrieren, solange ihr Rücken so kribbelte.
Als die letzte Stunde endlich vorbei war, hatte sie viermal falsch geantwortet. Die Fragen waren immer einfacher geworden, als wollte Señora Martinez ihr die Chance geben, sich zu verbessern, aber die Lehrerin hätte genauso gut Swahili sprechen können. Kaum hatte es geläutet, schoss Laurel hoch und rannte vor allen anderen zur Tür. Señora Martinez hatte keine Chance, sie wegen ihrer unterirdischen Leistung zu löchern.
Als sie David und Chelsea an Chelseas Schließfach in eine Unterhaltung vertieft entdeckte, lief sie in die
andere Richtung. Sie hoffte, dass sich gerade keiner umdrehen und sie von hinten erkennen würde. Kaum war sie der Schule entronnen, ging sie zum Fußballplatz, weil sie nicht wusste, wo sie in dieser noch unbekannten Stadt hinsollte. Unterwegs konnte sie die Beklemmung jedoch auch nicht abschütteln. Und wenn es Krebs ist? Krebs geht nicht einfach weg. Vielleicht sollte ich es doch Mom sagen.
»Montag«, flüsterte Laurel halb zu sich selbst, während der kalte Wind ihre Haare zerzauste. »Wenn es Montag nicht weg ist, sage ich es meinen Eltern.«
Sie stieg auf der Tribüne bis ganz nach oben, ihre Schritte hallten auf den Metallstufen. Sie lehnte sich ans Geländer und schaute über die Baumkronen zum westlichen Horizont. So hoch über ihrer Umgebung fühlte sie sich ausgeschlossen und allein. Das passte.
Ihr Kopf schoss hoch, als sie Schritte hörte. Als sie sich umdrehte, sah sie Davids verlegenes Gesicht. »Hallo«, sagte er.
Laurel schwieg – Erleichterung und Ärger kämpften um die Oberhand. Die Erleichterung überwog. David deutete auf die Bank, auf der sie stand. »Was dagegen, wenn ich mich setze?«
Laurel stand einen Augenblick reglos da, setzte sich dann auf die Bank und klopfte mit einem leisen Lächeln auf den Platz neben sich.
David setzte sich behutsam neben sie, als traute er ihrer Einladung nicht recht. »Ich wollte dir nicht nachspionieren«, sagte er, beugte sich vor und legte die Ellbogen
auf die Knie. »Ich wollte unten auf dich warten, aber …« Er zuckte die Achseln. »Was soll ich sagen. Ich bin ungeduldig geworden.«
Laurel schwieg.
Lange saßen sie da und sagten nichts. »Geht es dir gut?«, fragte David
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