Elfenkuss
Auf seiner Fußmatte konzentrierte sie sich auf die hellrote Haustür und klingelte, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Als sie Schritte hörte, hielt sie die Luft an. Davids Mutter öffnete die Tür, und Laurel bemühte sich, ihre Überraschung zu verbergen. Es war schließlich Samstag, da war es kein Wunder, dass sie zu Hause war. Doch dies war erst das zweite Mal, dass Laurel sie antraf. Sie trug ein süßes rotes Tanktop und Jeans und ihre langen, beinahe schwarzen Haare hingen offen in Locken über ihren Rücken. So eine unmütterliche Mom hatte Laurel noch nie getroffen. Im netten Sinne.
»Schön, dich zu sehen, Laurel.«
»Hi«, sagte Laurel nervös und blieb einfach stehen.
Zum Glück kam David dazu und sagte mit einem strahlenden Lächeln: »Hey! Komm mit nach hinten.« Er wies Laurel den Weg durch den Flur. »Laurel braucht ein bisschen Nachhilfe in Bio«, erklärte er seiner Mutter. »Wir bleiben in meinem Zimmer.«
Davids Mom lächelte sie beide an. »Möchtet ihr irgendwas? Zu essen oder zu trinken?«
Er schüttelte den Kopf. »Nur ein bisschen Ruhe. Die Hausaufgabe ist knifflig.«
»Dann lasse ich euch in Frieden.«
Die waldgrüne Tür zu Davids Zimmer stand auf und David winkte Laurel hinein. Er bückte sich, um seine Biologiemappe herauszuholen, und schloss nach einem prüfenden Blick in den Flur die Tür.
Laurel starrte die geschlossene Tür an. Sie war schon ein paar Mal in seinem Zimmer gewesen, aber da hatte er nie die Tür zugemacht. Zum ersten Mal bemerkte sie, dass man sie nicht abschließen konnte. »Deine Mom lauscht nicht an der Tür, oder?«, fragte Laurel. Kaum hatte sie die Frage gestellt, kam sie sich blöd vor.
David protestierte. »Niemals. Ich verdiene mir meine Privatsphäre nicht zuletzt dadurch, dass ich nie frage, warum viele ihrer Verabredungen bis zum nächsten Morgen dauern. Ich halte mich aus ihrem Privatleben raus und sie sich aus meinem.«
Laurel lachte; jetzt da sie hier war, ließ ihre Nervosität nach.
David zeigte auf sein Bett und zog sich selbst einen Stuhl heran. »Und?« Jetzt oder nie, dachte Laurel. »Also, ich hätte gern, dass du dir etwas unter dem Mikroskop ansiehst.«
Verwirrung spiegelte sich in Davids Miene. »Unter dem Mikroskop?«
»Du hast mir erzählt, deins wäre richtig gut.«
Er hatte sich rasch erholt. »Äh, ja, stimmt schon.«
Laurel holte das Tuch aus der Hosentasche. »Kannst du mir sagen, was das ist?«
Er nahm das Tuch und wickelte das weiße Stückchen vorsichtig aus. »Sieht aus wie der Teil eines Blütenblatts.«
Laurel hätte am liebsten die Augen verdreht. »Kannst du es dir unter dem Mikroskop ansehen?«
»Logo.« David ging zu einem langen Tisch, auf dem verschiedene Werkzeuge lagen. Laurel erkannte einige aus dem Biounterricht. Einige wenige. David zog eine graue Schutzhaube von seinem schwarz glänzenden Mikroskop und holte einen Objektträger aus einer Schachtel mit kleinen Glasplättchen, die durch Seidenpapierchen voneinander getrennt waren. »Darf ich daran rumschneiden?«, fragte er und schaute zu ihr rüber.
Laurel erschauerte bei der Erinnerung, wie sie es sich selbst vor weniger als einer halben Stunde abgeschnitten hatte, aber sie nickte. »Es gehört dir.«
David schnitt ein Stückchen ab, legte es auf den Objektträger, fügte eine gelbe Lösung hinzu und drückte ein Deckglas darauf. Dann befestigte er das Plättchen
unter der Linse und drehte an den Rädchen, während er durch das Okular blickte. Die Minuten schlichen dahin. David verbesserte nochmals die Einstellung und bewegte den Objektträger hin und her, um ihn aus verschiedenen Winkeln zu untersuchen. Endlich lehnte er sich zurück. »Mit absoluter Sicherheit kann ich dir nur sagen, dass es ein Stück einer Pflanze ist und die Zellen hochaktiv sind. Das bedeutet, es wächst. Dass es blüht, schließe ich aus der Färbung.«
»Ein Stück von einer Pflanze? Bist du ganz sicher?«
»Ziemlich sicher«, sagte er und schaute noch mal durchs Okular.
»Es gehört nicht zu einem … Tier?«
»Oh nein, auf keinen Fall.«
»Woher weißt du das?«
David ging einige vorpräparierte und beschriftete Objektträger durch, die er in einer anderen Schachtel aufbewahrte. Dann nahm er einen mit einem pinkfarbenen Klecks heraus und stellte das Mikroskop auf diesen neuen Objektträger ein. »Komm her«, sagte er, stand auf und zeigte auf seinen Stuhl.
Sie setzte sich auf seinen Platz und beugte sich zögerlich über das Mikroskop.
»Es beißt dich
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