Elfenkuss
bisschen überrascht. Er hat gesagt, es sei eine Blüte.«
»Eine Blüte?«
»Dann hat er noch gesagt, dass sie verschwinden wird. Das ist der Teil der Unterhaltung, von dem ich hoffe und wofür ich bete, dass er stimmt.«
»Wer war das denn? Hat er das gesagt?«
»Angeblich heißt er Tamani.« Kaum hatte sie seinen Namen ausgesprochen, wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Irgendwie schien der Name magisch zu sein, und ihn laut auszusprechen, brachte dieses Gefühl von Kontrollverlust zurück, das diese seltsame Unbesonnenheit in ihr auslöste. Plötzlich hatte sie sein Gesicht vor Augen, das ihr die Sicht versperrte. Seinen intensiven Blick, dieses halbe Grinsen, die Art, wie sie bei jeder seiner Berührungen von einem Gefühl von Trost und Vertrauen überwältigt wurde.
»Tamani?« Davids Stimme brachte sie in die Wirklichkeit zurück. »Komischer Name.«
Laurel konnte nur nicken, während sie sich gedanklich wieder der Realität zuwandte.
»Und was hat er noch gesagt?«
»Dass wir derselben Art angehören und dass er sich deshalb mit der Blüte auskennt.«
»Derselben Art? Was meint er damit?«
Laurel lachte, um die Spannung zu lösen, aber es funktionierte nicht. »Alles Blödsinn, aber er … er hat gesagt, ich wäre eine Blume, eine Pflanze.«
»Eine Pflanze?«
»Richtig. Einfach lächerlich.«
David dachte kurz darüber nach. »Sonst noch was?«
»Sonst noch was? Reicht das nicht? Er hat behauptet,
ich wäre eine verflixte Pflanze. Ich bin keine Pflanze, oh nein«, betonte sie.
David rutschte mit dem Rücken am Baumstamm nach unten, setzte sich auf die Erde und trommelte mit den Fingern auf seine Knie. »Das würde schon einiges erklären«, sagte er zögernd.
»Oh, bitte, David, nicht du auch noch.«
»Hat er noch was gesagt?«, fragte David, ohne ihre Bitte zu beachten.
Laurel wandte sich ab und zupfte Rindenstückchen von dem Baum, an dem sie lehnte. »Nur noch mehr verrücktes Zeug, das ist alles.«
David stand auf und ging zu dem Baum, den sie so heftig attackierte. Er wartete, bis sie aufblickte. »Wenn es nur verrücktes Zeug war, warum regst du dich dann so auf?«
»Weil … weil es so doof war.«
»Laurel.«
Sie sah ihn erregt an.
»Was hat er gesagt?«
»Was Blödes. Er hat gesagt, ich bin eine – du lachst sowieso.«
»Ich lache nicht. Was, hat er gesagt, bist du?«
Sie atmete pustend aus und ihre Schultern fielen nach vorn. »Er sagte, ich sei eine Elfe«, flüsterte sie.
David schwieg einen Moment und hielt dann seine Hand hoch, mit zehn Zentimetern Abstand zwischen Daumen und Fingern. »Eine Elfe?«, fragte er zweifelnd.
»Ja, also, wie man sieht, bin ich ein bisschen größer als so«, sagte sie verächtlich.
David lächelte nur.
»Was?« Das klang schärfer, als sie wollte, aber sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen.
»Es … ja, also, es ergibt Sinn.«
Laurel stemmte die Hand in die Hüfte. »Irgendein Irrer behauptet, ich wäre eine Märchengestalt, und du findest, das ergibt Sinn?«
Jetzt wurde David rot und zuckte die Achseln. »Wenn ich dir jemanden nennen sollte, der mich an eine Elfe erinnert, dann du.«
Laurel hatte erwartet, dass David lachen und das Ganze für Blödsinn halten würde. Darauf hatte sie sich verlassen. Doch er schien es irgendwie zu glauben. Selbst wenn sie wusste, dass es irrational war, machte sie das wütend. »Können wir jetzt gehen?«, fragte sie und machte sich auf den Weg.
»Warte.« David lief ihr nach. »Macht dich das nicht neugierig?«
»Nein, David«, fauchte sie. »Macht es nicht. Ich möchte einfach nur nach Hause gehen und schlafen, und wenn ich aufwache, soll es nur ein böser Traum gewesen sein. Die Blume, der Knubbel, die Schule, all das soll es gar nicht gegeben haben. Das macht das mit mir!« Sie ließ ihm keine Zeit zu antworten und lief einfach weiter, egal wohin. Sie wollte nur noch weg.
»Und was macht dir mehr Angst, Laurel?«, schrie David ihr nach. »Dass er recht hat oder dass er lügt?«
Laurel rannte bis nach Hause und blieb mehrere Minuten keuchend in der Einfahrt stehen, bevor sie auf das Haus zuging. Die Tage wurden kürzer, es dämmerte schon. Sie brach auf der Veranda zusammen und schlang die Arme um die Knie. Um diese magische Tageszeit waren die Wolken violett mit einem fluoreszierenden orangefarbenen Anstrich. Laurel liebte diese Augenblicke. Das neue Haus hatte ein großes Panoramafenster nach Westen, wo sie und ihre Mutter oft zusahen, wie die Wolken plötzlich violett
Weitere Kostenlose Bücher