Elfenkuss
zumute war, deshalb liefen sie schweigend nebeneinander her.
Er war besonders freundlich, als er ihr über den Zaun in seinem Hinterhof half und sich bemühte, sie nicht am Rücken zu berühren. Er hielt sie an den Oberarmen fest, als sie vom Zaun sprang, und ließ auch nicht los, nachdem sie sicher gelandet war.
Laurel hätte sich am liebsten an seine Brust geschmiegt und den ganzen Unsinn vergessen. Doch sie
wusste, dass es so nicht ging. Er starrte sie an, ohne zu blinzeln, bis sie die Hände in die Hosentaschen steckte und sich widerwillig löste.
»Hier lang«, sagte David und übernahm die Führung auf dem Weg zu dem knorrigen Baum.
Laurel hob den Blick zu dem dichten Blattwerk über ihr. Jetzt, im Oktober, waren die Blätter bereits halb verwandelt. Die Spitzen waren orange und rot, an manchen Ästen auch gelb und hellbraun, während sie in der Mitte noch darum kämpften, grün zu bleiben. Sie verschönerten den Wald mit diesen Farbschattierungen, aber es stimmte Laurel auch ein wenig traurig zuzusehen, wie das Grün den Kampf gegen die feurigeren Farbtöne verlor.
Dabei musste sie an ihre eigene Blüte denken. Würde sie langsam absterben wie die Blätter? Würde das wehtun? , dachte sie plötzlich ängstlich. Selbst wenn, es wäre es wert, wenn die Blüte nur weg wäre. Aber Tamani hatte auch gesagt, im nächsten Jahr würde sie wieder blühen. Von den meisten Dingen, die er gesagt hatte, hoffte sie, dass sie stimmten. Was den Rest anging … so wollte sie nicht einmal darüber nachdenken.
Doch ihre Gedanken schweiften ab. Auch wenn sie es ungern zugab, lag es nicht allein an den bizarren Informationen, sondern auch an Tamani selbst. Er hatte sie erschüttert, hatte Gefühle in ihr ausgelöst, die ihr völlig neu waren. Jemanden so sehr zu begehren, den sie nicht mal kannte – das hatte sie noch nie erlebt. Mit
niemandem. Es war aufregend und lustig, aber auch bedrohlich. Sie schien teilweise völlig außer Kontrolle geraten zu sein. So toll fand sie das nicht.
Er war so … war schön das richtige Wort? Es schien so. Wie auch immer, sie hatte kaum den Blick von ihm wenden können. Deswegen fragte sie sich auch immer wieder, ob er vielleicht ein Trugbild gewesen war, ein superrealistischer Traum.
Sie warf einen schnellen Blick auf ihr Handgelenk, von dem sie den Glitzerstoff abgerieben hatte. Der war echt gewesen. Zu Hause hatte sie einen Streifen davon auf ihrer Jeans gefunden. Er musste einfach echt sein. Dazu kam der nagende Verdacht, dass sie Tamani schon mal gesehen hatte. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln. Und so wie er sich verhalten hatte, kannte er sie. Woher sollte er sie kennen? Wie war es möglich, dass er sie kannte? Ihr drehte sich der Kopf.
»Und, was ist gestern passiert?«, fragte David schließlich, als der Baum in Sicht kam. Laurel stöhnte, wenn sie daran dachte, wie albern ihr das alles vorkam, nachdem sie gesagt hatte, sie würde mit ihm reden.
»Es ist absolut lächerlich, David, ich weiß auch nicht, warum es mich so fertig macht. Wahrscheinlich weil ich mir so blöd vorkomme.«
»Hat es etwas, äh, mit der Blume zu tun?«
»Ja, schon, irgendwie. Keine Ahnung«, sagte Laurel. Dann sprudelte es aus ihr heraus, während sie hin und her lief. »Aber nur wenn es wahr ist, und das kann ich einfach nicht glauben. Langsam denke ich, ich habe
mir das alles bloß eingebildet, wie ein Traum, nur dass ich mich nicht erinnere, eingeschlafen zu sein.«
»Ich verstehe nur Bahnhof.«
»Warte ab, bis ich dir erzähle, was er gesagt hat!«, warnte Laurel David.
»Wer?«
Laurel blieb stehen und lehnte sich gegen einen Baum. »Ich habe jemanden getroffen. Auf dem Grundstück. Einen Typ, sozusagen.«
Eigentlich einen Mann , dachte sie, sprach es aber nicht aus. »Er sagte, er lebt da.«
»Auf eurem Grundstück?«
»Das habe ich doch gerade gesagt.«
»Und was sagen deine Eltern dazu?«
»Die haben ihn nicht gesehen«, antwortete Laurel.
»Du hast ihn allein getroffen?«
Laurel nickte.
»Einen fremden Typ und du warst ganz allein? Gut, dass dir nichts passiert ist!« Er hielt einen Moment inne und fragte dann leise: »Dir ist doch nichts passiert, oder?«
Doch Laurel schüttelte bereits den Kopf. »So war das nicht.« Einen Augenblick lang erinnerte sie sich an das Gefühl, als sie auf der kleinen Lichtung gesessen hatte. »Ich habe mich sicher gefühlt, ich war in Sicherheit, wirklich. Er … er kannte mich, keine Ahnung, woher. Er hat die Blume gesehen und war kein
Weitere Kostenlose Bücher