Elfenkuss
anliefen, bis sie zu einem hellen Lila verblassten, wenn das Orange der sterbenden Sonne sie überwältigte.
Heute Abend bedeutete diese Schönheit ihr nichts.
Laurel schaute vors Haus, wo die weißen Hartriegelsträucher in der Einfahrt blühten. Sie überlegte, wie viel sie mit ihnen gemeinsam hatte. Schenkte sie Tamani Glauben, teilte sie mit diesen Sträuchern mehr als mit ihren lebenden, atmenden Eltern, die hinter dieser Tür auf sie warteten.
Sie schaute auf ihre Füße. Ohne nachzudenken, schlüpfte sie aus ihren Flip-Flops und grub ihre Zehen in die krümelige Erde der Blumenbeete. Sie atmete hastig und flach, während sie die Panik in Schach zu halten versuchte, den Dreck von den Füßen rieb und ihre Sandalen wieder anzog. Und wenn sie hinters Haus ging, dort mit nackten Füßen in die fruchtbarere Erde trat und die Arme zum Himmel hob? Würde ihre Haut langsam zu Baumrinde härten? Würden aus ihr noch mehr Blütenblätter sprießen?
Eine entsetzliche Vorstellung.
Tamani hatte ganz normal ausgesehen. Wenn er ihr so sehr ähnelte, würde sie dann auch keine andere Gestalt annehmen? Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie ihm überhaupt etwas glauben konnte.
Als die Blockhaustür knarrte, sprang Laurel ruckartig auf und wandte sich ihrem Vater zu, der den Kopf durch die Tür steckte. »Dachte ich mir doch, dass ich jemanden gehört habe«, sagte er lächelnd. »Was machst du?«
Laurel musste erst überlegen, warum sie nicht sofort reingegangen, sondern draußen sitzen geblieben war. »Ich habe mir den Sonnenuntergang angesehen«, antwortete sie schließlich mit einem gezwungenen Lächeln.
Er seufzte und lehnte sich an den Türrahmen. »Wunderschön, nicht wahr?«
Laurel nickte und schluckte. Sie hatte einen Kloß im Hals.
»In den letzten Wochen warst du sehr still, Laurel. Geht es dir gut?«, fragte ihr Vater sanft.
»Nur ein bisschen Stress in der Schule«, log Laurel. »Es ist schwerer, als ich dachte.«
Er trat zu ihr auf die Veranda. »Kommst du denn klar?«
»Ja, aber es ist sehr anstrengend.«
Er lächelte und legte ihr den Arm um die Schultern. Laurel versteifte sich, aber ihr Vater schien es nicht zu merken. Dabei waren die zarten Blütenblätter nur
durch eine millimeterdünne Stoffschicht vor einer Entdeckung geschützt.
»Egal, wir haben noch jede Menge Pfirsiche, damit du genügend Energie bekommst«, sagte er grinsend.
»Danke, Dad.«
»Komm rein, wenn du so weit bist«, sagte er. »Gleich gibt es Abendessen.«
»Dad?«
»Ja?«
»Als ich klein war … war ich da anders als die anderen Kinder?«
Er blieb stehen, sah Laurel ins Gesicht und ging zu ihr zurück. »Was meinst du damit?« Sie überlegte, ob sie sich ihm anvertrauen sollte, entschied sich aber rasch dagegen. Erst wollte sie herausfinden, wie viel er wusste. »Also beim Essen zum Beispiel. So wie ich isst keiner von denen. Alle finden das merkwürdig.«
»Es ist anders, aber ich kenne niemanden, der so viel Obst und Gemüse isst wie du, und das ist doch gesund. Außerdem hast du keine gesundheitlichen Probleme, oder?«
»Nein, aber war ich überhaupt schon mal beim Arzt?«
»Aber sicher. Bevor die Adoption abgeschlossen wurde, kam ein Kinderarzt ins Blockhaus, um dich zu untersuchen.« Er machte eine Pause. »Stimmt, das war schon eine komische Geschichte. Er hat dich genau untersucht und alles schien in Ordnung zu sein.« Ihr Vater lachte. »Außer dass dein Knie nicht reagierte, als er mit seinem Hämmerchen dagegen schlug. Er war ein
wenig beunruhigt, aber ich glaube, es war nicht weiter wichtig. Dann holte er sein Stethoskop heraus und jetzt wurde es eigenartig. Er wanderte mit dem Ding über deinen Rücken und deine Brust, und als ich ihn fragte, ob es ein Problem gab, bat er mich, deine Mom zu holen. Er wollte mit uns beiden darüber sprechen. Also holte ich sie, aber als wir zu ihm zurückkamen, packte er seine Tasche, lächelte und erklärte dich für vollkommen gesund.«
»Aber was war denn nun?«
»Das habe ich ihn auch gefragt. Er antwortete, er wüsste gar nicht, wovon ich redete. Du kannst dir vorstellen, dass deine Mom danach noch weniger von Ärzten hielt. Sie zog wochenlang darüber her, was für ein Schwachkopf er war.«
»Und du hast es nicht mehr herausgefunden?«
Ihr Vater zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass mit dir irgendwas nicht stimmte. Wahrscheinlich war sein Stethoskop kaputt oder er konnte nicht damit umgehen oder so was. Als er seinen Fehler dann bemerkte,
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