Elfenlicht
erreichte es nicht mehr. Sie wirkten kühl. Forschend. »Du wirst eine gute fahrende Ritterin werden, denn du wagst es, unbequeme Fragen zu stellen. Dabei ist die Wahrheit ein fast genauso unbeständiger Stoff wie die Gerechtigkeit. Ich denke an den, den du als Ollowain kennst, wenn ich für die Zukunft Albenmarks kämpfe. In Wahrheit gibt er allein mir die Kraft. Wenn man ehrlich ist, dann will man die Welt immer nur für Einzelne verändern. Nicht für Völker. Zumindest gilt das für mich. Ich stelle mir vor, dass Albenmark immer noch der Ort sein sollte, für den wir einst gekämpft haben, als ich noch eine fahrende Ritterin war und er mich begleitete. Dies soll mein Geschenk an ihn sein, wenn er eines Tages zu unserer Liebe zurückfindet. Wann immer das sein mag.«
Obilee empfand die Antwort als unbefriedigend. Durfte eine unerfüllte Liebe zum Maß für eine ganze Welt werden? Woran maß man Gerechtigkeit? War es da nicht besser, möglichst vielen ein möglichst gerechtes Leben schenken zu wollen? Die Kriegerin war froh, nicht an Emerelles Stelle zu sein. Zugleich war sie sich sicher, dass sie anders entschieden hätte.
»Zweifelst du nun an mir?«, fragte die Königin spöttisch. »Ich rate dir, beurteile meine Taten nicht, Obilee. Das ist so, als hättest du auf einem staubigen Weg, der sich in der Ferne verliert, einen einzelnen Stein aus einem Mosaik gefunden und glaubtest, du könntest dir das Bild vorstellen, zu dem er gehört. So sehr du nun vielleicht vom Gegenteil überzeugt sein magst, du kennst mich nicht. Ich werde weiterhin für Ollowain kämpfen, denn auch, wenn er seit sieben Jahren verschollen ist, spüre ich ihn noch. Er ist nicht tot!«
In Emerelles letzten Worten vermeinte Obilee einen merkwürdigen Unterton zu hören. Würde die Königin jemals anerkennen, dass ihr Geliebter tot war? Würde sie nicht immer darauf beharren, dass er vielleicht zurückkehrte? Und konnte es sein, dass der Mann, dessen Liebe sie einst teilte, schon lange gestorben war, auch wenn seine Seele wieder und wieder nach Albenmark zurückkehrte? Sie sah Emerelle plötzlich mit anderen Augen. Hatten jene, die sie eine Tyrannin nannten, vielleicht sogar Recht? Zugleich empfand Obilee aber auch tiefes Mitleid mit ihrer Herrin. Dann dachte sie an das, was Emerelle über den Stein aus dem Mosaik gesagt hatte.
Die Königin hatte sich erhoben und deutete mit dem Übungsschwert auf sie. »Steh auf, Obilee. Ich möchte dir noch eine Lektion erteilen, bevor ich in den Thronsaal zurückkehre.«
FRIEDLOS
»Ich lasse das Gift der Melancholie zu Tinte werden und banne es auf ein Stück fein gegerbte Rindshaut, wenn ich dir schreibe, mein verlorener Freund. Mir wird die Brust eng um mein Herz, wenn ich an dich denke, Ollowain. Fünfzehn Jahre sind verstrichen, seit ich dich das letzte Mal sah, in jenem Winter des Blutes, den die Skalden heute poetisch Elfenwinter nennen. Ich denke oft an dich, mein Freund. Manche sagen, du seiest tot. Doch ich kann mir keinen Gegner vorstellen, der dich hätte bezwingen können, Schwertmeister. Für mich bist du immer so unbesiegbar geblieben, wie du es als mein Fechtmeister warst, in jenen fernen Tagen, als ich ein Kind war und allein am Hof von Albenmark. Der einzige Mensch in einer fremden Welt. Und du warst damals mein einziger Freund. Auch denke ich oft an die Jahre, als wir gemeinsam mit meinem Vater nach Noroelles Sohn suchten. Heute könnte ich ihn wohl besser verstehen, jenen Mandred Torgridson, der mich, seinen Sohn, an die Elfenkönigin verschenkte. Das Fjordland ist aus der Asche des Krieges wieder auferstanden. Es ist ein starkes Königreich. So stark, dass unsere Nachbarn über uns spotten und sagen: Alle Königreiche hätten einen Heerhaufen, der ihm dient, so wie es sich gehört, nur das Fjordland nicht. Dies sei ein Heerhaufen mit einem Königreich, das ihm dient. Ich wünschte, es wäre anders! Doch die Trolle lassen uns nicht in Frieden. In jedem Frühling kommen sie aus dem eisigen Norden. Sie rauben Vieh, brennen einsame Gehöfte nieder und schlachten die Bauern. Dir brauche ich nicht zu sagen, was sie mit ihnen tun. Wir haben es beide gesehen.
Mein Leben ist einsam ohne dich, mein Freund. Dies mag seltsam klingen, bin ich doch als König fast immer von Leuten umgeben. Aber einen Freund wie dich habe ich nie wieder gefunden. Du hast in meinem Herzen eine Lücke hinterlassen. So wie Kadlin und Asla, die ich nicht vor den Trollen retten konnte. Manchmal stehe ich oben auf dem
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