Elfenlicht
Zeltlager. Das Heer des Königs sammelte sich. Die Krieger und die Arbeiter kamen aus dem ganzen Königreich. Und sie sah auch die Bahnen, die man für die Bogenschützen abgesteckt hatte. Es war eine besondere Ehre, zu Alfadas‘ Bogenschützen zu gehören. Nur die hundert Besten würden das Heer als Jäger und Pfadfinder begleiten. Sie würden die Mägen der hungrigen Krieger füllen, und sie waren die Augen des Heerzuges, wenn sie ins Trollgebiet vorstießen.
Kadlin schulterte ihren Bogen und ging mit weiten Schritten den Weg hinab, der dem Lauf des Fjordes folgte. Ihr Vater wirkte seltsam bedrückt. Nach Aslas Tod war er schnell gealtert. Sein Haar hatte die Farbe von Kiefernhonig verloren; es war dünn und von weißen Strähnen durchsetzt. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen. Obwohl er immer noch ein starker Mann war und einen erlegten Steinbock einen halben Tag lang auf seinen breiten Schultern tragen konnte, war er nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war. Es war gut, dass ihre Schwester Silwyna ihn so nicht mehr gesehen hatte. Sie war sehr empfindsam. Kali hatte gut daran getan, sie nach Mutters Tod schnell zu verheiraten. Silwyna hatten sie nach der Elfe benannt, die sie im Winter des Krieges gerettet hatte. Sie lebte in Bronsted, einem Fischerdorf hinter den Bergen. Letzten Sommer hatte Kadlin ihre Schwester zusammen mit Vater besucht. Silwyna trug damals schon deutlich sichtbar ein Kind unter dem Herzen. Es musste längst geboren sein. Ein Winterkind ... Hoffentlich hatte Luth einen Faden für das Kleine gesponnen. Es war nicht gut, Kinder im Winter zur Welt zu bringen.
Kadlin spürte, wie die Männer auf den Feldern und die Fischer in den flachen Booten sie anstarrten. Eine junge Frau in Hosen, Jagdstiefeln und mit einem Bogen über der Schulter war ein seltener Anblick. Die Elfe Silwyna hatte oft von ihrer Welt erzählt. Dort herrschte eine Frau über alle Völker, und es war nicht ungewöhnlich, Kriegerinnen zu begegnen. Hier im Fjordland war das anders. Frauen brachten Kinder zur Welt und durften sich ein Leben lang krumm schuften, ohne dass sie dafür auch nur ein Wort des Dankes erwarten konnten. Ein Krieger aber, der auf dem Schlachtfeld in seinem Blut verreckte, konnte sicher sein, dass er lange unvergessen blieb, wenn er denn heldenhaft gekämpft hatte. Aber eine Frau, die im Kindbett verblutete, weil ihr keine Amme und keine Heilkundige mehr helfen konnte, war schnell vergessen. Über sie gab es keine Lieder, die an den langen Winterabenden in den Langhäusern gesungen wurden. Kadlin wusste wohl, dass es Silwyna gewesen war, die in ihr den Willen geweckt hatte, sich aufzulehnen. Und auch ihre Mutter Asla, die im Kettenhemd auf den Wällen von Sunnenberg gekämpft hatte. Sie würde eine starke Frau sein, die sich nicht einfach dem Willen anderer fügte! Sie wusste auch, dass sie für manches der weißen Haare auf dem Haupte ihres Vaters verantwortlich war. Bis zuletzt hatte Kalf versucht ihr auszureden, hierher zu kommen. Sie würde wahrscheinlich die einzige Jägerin sein, die den Kriegszug begleitete.
Kadlin wusste, dass Kalf nicht verstanden hatte, warum ihr der Weg nach Firnstayn so wichtig war. Sie brauchte einen Mann. Das war ihr im letzten Jahr klar geworden, als sie ihre Schwester gesehen hatte. Auch sie wollte Kinder haben. In dem einsamen Tal, in dem sie aufgewachsen war, gab es niemanden, der in Frage kam. Und die wenigen anderen Jäger, die sie bislang auf ihren Streifzügen durch die Berge getroffen hatte, waren brummelige, alte Männer. Mit ihnen konnte man einen Abend an einem gemeinsamen Feuer verbringen, aber ein Leben? Nein! Es machte Spaß, ihren Zoten zu lauschen und von ihnen Flüche zu lernen, die selbst Kalf die Schamesröte ins Gesicht trieben. Manchmal hatte Kadlin auch ein wenig geflirtet... Aber ernsthafte Absichten hatte sie dabei nie gehegt. Sie dachte an den Fischerburschen, den sie während ihres Besuches bei ihrer Schwester verführt hatte. Der war schon eher nach ihrem Geschmack gewesen ... Diese heimlichen Stunden hatten sie verzaubert. Er hatte endlos über das Meer erzählen können, wenn sie nebeneinander lagen, nachdem sie sich geliebt hatten.
Aber Kadlin war auch klar geworden, dass ihr Leben daraus bestehen würde, auf ihn zu warten, wenn sie sich für ihn entschied.
Jeden Tag zu Luth zu beten, dass ihr die See nicht den Liebsten raubte. Ein Leben in einer nach Fisch stinkenden Hütte ... Das war nicht das, was sie wollte. Sie suchte einen
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