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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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auch nur die geringste Notiz vom Lager der Hornschildechsen zu nehmen. Das kleine Tal war wie das Auge eines Wirbelsturms. Rings herum wurde tausendfach gestorben, doch hier herrschte gespannter Frieden, und statt Kriegsbannern flatterten Unterhosen im Wind.
    Ganda stieg langsam die Hügelflanke hinab. Jetzt erkannte sie auch andere der Hornschildechsen. Wolfsbeißer und Torkelschritt lebten noch. Auch Mondkragen, die junge Echsenkuh, auf deren Rücken sie einst gewohnt hatte, war bei der Herde. Ihre zähe, faltige Haut hatte das helle Grasgrün der Jungtiere verloren und mittlerweile den matten, graugrünen Ton der Alten angenommen.
    Ganda klopfte das Herz. Für sie waren nur wenige Wochen vergangen, aber für ihre Sippe fünfzehn Jahre. Würde man sie überhaupt noch wiedererkennen? Wer lebte noch von ihren Freunden? Alle Kinder, die sie gekannt hatte, wären jetzt erwachsen. Wer lebte wohl auf dem Rücken von Mondkragen? Und wo würde sie unterkommen?
    Auf den Bambusplattformen waren nur wenige Lutin zu sehen. Alle Alten und die Kinder waren in den Zelten verborgen. Die Frauen, die sich zeigten, trugen bunt bestickte Westen, grobe Leinenhemden und enge Reithosen so wie früher. Kleider und Röcke waren zu unpraktisch, solange man mit der Herde wanderte. Auch die Männer trugen enge Hosen und Schaftstiefel, dazu speckige Lederjacken. An heißen Tagen verzichteten sie auf Hemden. Ein locker umgeschlungener Seidenschal verhinderte, dass sie sich an den steifen Kragen die Nacken wund scheuerten.
    Die meisten hatten ihre Jacken nicht zugehakt. Über ihrer Brust baumelten Amulette aus Federn, Hornplatten und allen erdenklichen anderen Dingen bis hin zu eingetrockneten Nabelschnüren oder mumifizierten Zehen. Aus ihren Gürteln ragten die Griffe des Nackenstechers und des Häutermessers, der beiden Klingen, die jeder Lutin erhielt, sobald er zum Mann wurde.
    Ganda trug noch immer das rote Kleid, in dem sie in jener schicksalhaften Nacht vor Emerelle getreten war. Es war unpassend für das Leben in der Steppe. Sie spürte die Blicke, mit denen sie gemustert wurde.
    Der Schwarze hatte ihr einiges über ihre Legende erzählt. Er kannte sich aus. Schließlich hatte er die Bücher und Flugschriften gedruckt, in denen Elija ihre Geschichte weit über den engen Horizont der Wahrheit hinaus gesponnen hatte. Sie war eine Heldin, die in den Kerkern der Elfen verschwunden war. Unbeugsam und tapfer, hatte sie angeblich nicht einmal unter der Folter die Sache der Rotmützen verraten. Ganda lächelte freudlos. Mit diesen Geschichten würde sie leben müssen. An sie zu rühren, hieße das empfindliche Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Lüge zu gefährden, auf dem jene Welt beruhte, die Elija in seinen Schriften entworfen hatte.
    »Ich bin Kommandantin Schlüsselchen«, rief Ganda den Kriegerinnen und Kriegern an den Armbrüsten zu. »Ich bin zurückgekehrt, um meinen Platz in der Herde einzufordern. Bringt mich zu Elija!«
    Zwei Kriegerinnen schwenkten ihre Armbrüste auf sie ein. Zwischen den Plattformen auf den Rücken der Hornechsen wurden Flaggensignale getauscht. Früher hatte es einmal einen eigenen Wimpel für sie gegeben, der einen roten Schlüssel auf gelbem Grund zeigte. Heute nahmen sie für sie den Wimpel mit der Bedeutung fremd. Das zu sehen, machte ihr mehr zu schaffen, als sie erwartet hatte.
    Schließlich gab ihr eine Kriegerin mit einem roten Turban ein Zeichen, sich entlang der Front der Hornechsen zu bewegen. »Du findest Elija auf Wolfsbeißer!«, rief die Lutin.
    Ganda schnaubte verächtlich. Sie wollten sie also auf die Probe stellen! Eine Fremde könnte nicht wissen, zu welcher Echse sie gehen musste. War es nur die Schlacht, die ihre Sippe so misstrauisch machte? Zu ihrer Zeit hatte man Fremde nie so unfreundlich empfangen.
    Die Hornschildechsen musterten sie aufmerksam mit ihren großen, meergrünen Augen. Manche klapperten mit den Schnabelschnauzen. Der Rauch und der Kampfeslärm machte sie unruhig. Immer wieder erklang das ängstliche Blöken der Kälber aus der Mitte des Kreises.
    Ganda blieb vor einer Echse mit graugrünem Schnabel stehen. Breite gelbe Streifen wie stilisierte Sonnenstrahlen schmückten den Hornkragen. Wolfsbeißer war schon alt gewesen, als Ganda geboren wurde. Selbst jetzt, inmitten der Schlacht, strahlte er eine majestätische Ruhe aus.
    Die Lutin nahm Augenkontakt mit ihm auf und streckte dann vorsichtig die Hand aus, um ihm über die fleischige Lippe zu streicheln, in die der

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