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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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war blutig zerrissen. Durch die offene Wange konnte man seine Zähne sehen. Er stieß einen gurgelnden Laut aus.
    »Ich weiß, wer sie ist«, sagte Ulric leise.
    Die Augen des Jägers weiteten sich. Es war schwer, in seinem verwüsteten Gesicht ein Gefühl abzulesen. War er erschrocken oder erleichtert? Sein Mund öffnete sich.
    Wieder sprudelten unverständliche Laute hervor. Jetzt sah Ulric die Zunge des Mannes oder besser das, was davon noch übrig war. Er musste sie sich abgebissen haben, als er beim Sturz gegen die Felsen geschlagen war.
    »Warum ist meine Mutter mit dir gegangen? Warum hat sie mich und meinen Vater im Stich gelassen? Warum hast du sie mir gestohlen?«
    Kalf stammelte etwas Unverständliches. Blut quoll von seinen Lippen.
    »Wo ist sie jetzt? Wohin hast du Asla gebracht?«, rief Ulric zornig. Nachdem Halgard ihn darauf gestoßen hatte, wer die junge, rothaarige Jägerin wirklich sein musste, hatte Ulric eigentlich beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber jetzt brachen all sein Zorn und seine Trauer aus ihm heraus. Vor ihm lag der Mann, der all seine Fragen hätte beantworten können. Und er war im Begriff zu sterben.
    »Hat meine Mutter dich geliebt?« Kalf schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Sollte das ja heißen? Oder war es Verlegenheit? Es war sinnlos, ihn nach etwas zu fragen! Schaumiges Blut quoll über Kalfs Lippen. Er versuchte sich aufzusetzen, aber seine Kräfte reichten dazu bei weitem nicht mehr aus. »Kah ...len ... Kah ...linn!«, stammelte er.
    »Kadlin?«
    Der Jäger verdrehte die Augen, als wolle er zu jemandem bli
    cken, der hinter ihm stand. Doch da war nur die Steilklippe.
    »Meinst du Kadlin? Was ist mit ihr?« Kalf antwortete nicht mehr.
    »Mögen die Götter dir gnädig sein.« Ulric strich dem Toten mit der Hand übers Gesicht. Schnee fiel auf den Jäger herab.
    Bald wird uns der Winter alle unter sein weißes Leichentuch gebettet haben, dachte der Prinz. Wer den Trollen entging, den würde Firns Atem töten. Fröstelnd rieb er sich die Arme und wusste doch, dass er die Kälte nicht würde vertreiben können.

DAS LEICHENFELD

    ... Zwei Stunden hatte ich mir Zeit gelassen, bis ich es wagte, gegen den Befehl zu verstoßen. Elodrin und auch sein Navigator Landal befürchteten, dass es auf der Nachtzinne Kriegsmaschinen geben könnte, um Schiffe an der Mole und in der Bucht anzugreifen. Orgrim war der einzige Troll, dem sie zutrauten, solche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Wäre ich doch mutiger gewesen! Jeder Atemzug, den ich zögerte, kostete zehn Menschenleben. Elodrin wollte ein Lichtzeichen geben, sobald die Nachtzinne gestürmt war. Ein leuchtend roter Stern sollte in den Himmel steigen. Er glaubte, es werde im schlimmsten Fall zwei Stunden dauern, die Besatzung der Nachtzinne zu überrumpeln und alle wichtigen Verteidigungsstellungen zu besetzen. Zwei Stunden ließ ich darüber hinaus verstreichen. Ein Schneesturm war aufgezogen. In seinem Schutz brachten wir die Schiffe zur Mole und gingen an Land. Die Tore der Nachtzinne fanden wir fest verschlossen. So befahl ich, in jenes Tal vorzustoßen, in dem wir uns mit dem Heer der Menschen vereinen wollten.
    Welch ein Grauen erwartete uns! Trotz des Sturms hatte ein Teil der Trolle schon mit, dem Leichenschmaus begonnen. Einige kämpften noch; verzweifelt verteidigten die Menschen ihr Lager. Die Tolle waren so überrascht von unserer Ankunft, dass wir viele niederstreckten, bevor sie überhaupt zu den Waffen greifen konnten. Die Übrigen flohen in die Berge. Wir setzten ihnen nicht nach. Ich weiß, es gehört zu den Gesetzen des Krieges, dass der Sieger den Druck gegen den fliehenden Feind aufrechterhalten soll. Doch ich wollte auf keine Hand verzichten, die mithelfen konnte, jene wenigen Menschen zu bergen, die noch zu retten waren. Viele Verwundete, die auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben waren, hatte die Kälte getötet.
    Der Tod hatte eigentümliche Muster auf jenem Feld gewoben, das wir ihm zu so reicher Ernte bestimmt hatten. Dort, wo die Krieger bis zuletzt gekämpft hatten, lagen sie in Haufen, umgeben von erschlagenen Trollen. Halb vom Schnee begraben waren es große, abstrakte Blumen. Der Kreis der toten Trolle waren die Blütenblätter, die erschlagenen Menschen aber waren das Herz der Blüte. Die Flüchtenden waren allein gestorben. Zusammengekrümmt lagen sie jeder für sich, wo der Feind und der Tod sie gleichermaßen eingeholt hatten. Und noch einmal anders war die Spur des

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