Elfenlicht
Leid, das er zu verantworten hat, soll auf ihn zurückfallen. Jede Bosheit wird ihm heimgezahlt werden. Jedes ...«
»Deine Zunge scheint ja schon wieder ganz genesen zu sein«, klang es von der Tür. Ein Schattenriss füllte den Rahmen. Nestheus trat ein. Der Kentaur trug eine geflickte Weste, das Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, und er wirkte mehr wie ein übermüdeter Viehtreiber denn wie ein Fürst. Hinter ihm folgte Caileen in ihrer grünen, mit Gold beschlagenen Rüstung. Die Elfe schien ein Strahlen zu umgeben. Ihr Haar war gerichtet, der Harnisch glänzte selbst im trüben Winterlicht. Zwei ihrer Krieger trugen eine Holztafel, Rollen mit Karten und eine kleine Truhe.
»Es ist Zeit, wieder ins Bett zu gehen«, verkündete Artaxas schmunzelnd und ließ Melvyn zu dessen Lager schweben. Misht, der mit den anderen gekommen war, zog ihm die Felldecken über die Beine.
Melvyn schämte sich ein wenig für seine Schwäche, genoss es aber, wieder im Warmen zu liegen. In der Luft zu hängen, den Launen seines Freundes ausgeliefert, hatte ihm zutiefst widerstrebt.
»Du überraschst uns«, spottete Caileen freundlich. »Du kannst dich kaum von deinem Lager erheben und rufst schon einen Kriegsrat an dein Krankenbett, als seiest du hier der Oberbefehlshaber.«
Melvyn versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch das Bild Leylins wollte nicht vor seinen Augen verschwinden. Er musste sie wieder finden. Das war wichtiger als alles andere. Unangenehme Stille machte sich breit. Alle sahen ihn an.
»Weißt du, wer dich angegriffen hat?«, fragte Nestheus schließlich.
»Ein Elf ...« Er versuchte, seine Erinnerung an diese Winternacht wachzurufen, und doch waren es die Bilder einer ganz anderen, freundlicheren Nacht, die sich ihm aufdrängten. Die Erinnerung an den Adlerflug mit Leylin.
»Bist du erschöpft?«, fragte Artaxas besorgt.
Melvyn schüttelte den Kopf. »Die Gräber ... Gibt es eine Karte, auf der ihr mir den Vormarsch der Trolle zeigen könnt?« Er musste sich zusammenreißen. Er würde sich noch zum Gespött aller machen! Und er brauchte ihre Hilfe, wenn er Leylin retten wollte.
Caileen winkte den beiden Kriegern. Sie stellten die Tafel ab und legten eine große Karte des Windlands auf. Mit roter Kreide war eine Schlangenlinie auf das Pergament gemalt. Die Hauptrichtung des Vorstoßes führte von Nord nach Süd. »Ist einem von euch der Sinn der Haken klar, die unsere Feinde immer wieder schlagen? Gibt es etwas, wovor sie ausweichen?« Melvyn konnte in den Gesichtern lesen, dass sich die anderen diese Fragen auch schon ungezählte Male gestellt hatten, ohne befriedigende Antworten zu finden.
»Sie folgen dem Weg der Gräber«, erklärte er schließlich. »Nestheus, kennst du auch die Grabhügel der anderen Kentaurenvölker?«
»Selbstverständlich. Schon als Kind habe ich meinen Vater auf die Totenfeste begleitet.«
»Kannst du mir auf der Karte zeigen, wo entlang des Marschwegs der Trolle Hügelgräber liegen?«
Nestheus betrachte das Pergament. Plötzlich schnaubte er. »Das ist verrückt. Jeder Haken, den sie schlagen, führt zu einem Hügelgrab, als wollten sie unseren toten Fürsten und Kriegsherren huldigen.«
»Wovon man bei Trollen nicht ausgehen sollte«, mischte sich Caileen ein. »Was hat das zu bedeuten?«
»Habt ihr es geschafft, ihnen ihren Nachschub abzuschneiden, wie Ollowain es geplant hatte? Hungern die Trolle, und stirbt ihr Heer auf einem Todesmarsch durch die endlose Steppe?«
»Du weißt, dass es nicht so ist«, stieß Caileen gereizt hervor. »All unsere Pläne sind fehlgeschlagen. Würdest du uns jetzt freundlicherweise an deiner Weisheit teilhaben lassen und dieses kindische Ratespiel beenden!« »Sie haben Vorratslager angelegt. Du hast mir gesagt, dass die Lutin die Baumeister eurer Grabhügel sind. Ich selbst habe gesehen, wie ihre Zauber die toten Fürsten deiner Sippe schützten. Ihr Fleisch ist so gut erhalten wie an dem Tag, an dem sie starben. Sie sind bereit, sich einst zur letzten Schlacht zu erheben. In der Gruft, in der dein Vater ruht, habe ich Büffelblut gefunden, Nestheus, aber Büffel gelangen dort niemals hinab. Wie kam das Blut dorthin?« Der Kentaurenfürst zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht erklären.«
»Was haben die Lutin mit den Totenfeierlichkeiten deines Volkes zu tun?«
»Sie öffnen die Grabhügel und bereiten sie darauf vor, einem weiteren Toten zur Heimat zu werden. Nur sie können die magischen Siegel der Grabkammern
Weitere Kostenlose Bücher