Elfenlord
selbstgefällig. »Diese seltsame kleine Kreatur, der Purlisa.«
Der Purlisa? Warum sollte der Purlisa einen der Alten Götter herbeirufen – besonders diesen Alten Gott –, wenn er sich so wegen der Midgardschlange sorgte? Ganz sicher war doch ein Wesen aus jener Dimension genug? Allerdings wusste sie inzwischen auch nicht mehr, was sie nun eigentlich von dem Purlisa halten sollte.
»Um sicherzugehen, dass alles klappt mit dir und Henry«, sagte Loki, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
FÜNFUNDACHTZIG
L ord Hairstreak war außer sich vor Wut. Und hilflos, was alles noch schlimmer machte. Er warf finstere Blicke ohnmächtiger Wut um sich, als die Wache ihn von der Fähre zum Purpurpalast geleitete. Er hatte bereits eine erniedrigende Leibesvisitation über sich ergehen lassen müssen. Jetzt wurde er wie ein gewöhnlicher Krimineller eskortiert. Auf wessen Befehl hin eigentlich?, fragte er sich. Die Wache hatte sich darüber mehr als vage geäußert. Es war die Palastwache, was bedeutete, dass sie theoretisch seiner Nichte, Kaiserin Blue, unterstellt war. Aber Blue war im Augenblick nicht im Palast – das wusste er mit Bestimmtheit. Falls sie nicht gerade zurückgekehrt war, natürlich. Diese Möglichkeit fand er durchaus interessant, aber warum ließ sie ihn dann festnehmen? Sie konnte auf keinen Fall Wind von seinen Plänen bekommen haben.
Offiziell verhaftet hatten sie ihn allerdings nicht. Er hatte vielleicht seinen politischen Einfluss verloren und das meiste seines Geldes, aber er war immer noch ein Lord, immer noch von königlichem Blut (wenn auch auf der falschen Seite des Tischtuchs), was dazu führte, dass er dazu »eingeladen« worden war, die Wache zu begleiten. Als er das ablehnte, hatte sie darauf bestanden, höflich, aber bestimmt. Später, als er durchsucht wurde, begriff er, dass selbst der Schein der Höflichkeit nicht mehr gewahrt wurde.
Die Ironie des Ganzen bestand darin, dass der Hauptmann der Wache einer seiner eigenen Männer war – oder besser gesagt, einer von denen, die einmal seine eigenen Männer gewesen waren –, nämlich ein Nachtelf. Kurz nach ihrer Krönung hatte Blue eine Politik der Versöhnung eingeleitet: Dämonen, Nachtelfen … alle waren zum Dienst im Palast willkommen. Das sollte dabei helfen, alle Seiten im Geiste der Harmonie und Zusammenarbeit zu vereinen.Jugendliche Naivität, wie sie im Buche stand, aber das Irritierende war, dass es zu funktionieren schien. Es gab eine Zeit, da hatte er sich absolut darauf verlassen können, dass ein Nachtelf alles tat, was er ihm sagte. Jetzt konnte er diesen einen nicht einmal mehr dazu bringen, ihm Informationen zu geben.
Er machte einen letzten Versuch. »Hauptmann, worum geht es hier eigentlich genau?«
»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Sir«, sagte der Hauptmann.
Die dunkle Masse des Purpurpalastes, von der Zeit geschwärzt, ragte jetzt über ihnen auf und Hairstreak bemerkte, dass sie statt des Haupteinganges einen Nebeneingang nahmen, ein weiteres Zeichen dafür, dass dies keine förmliche Einladung durch seine Nichte war. Aber es war auch nicht einer der üblichen Eingänge für das alltägliche Geschäft, weder für Diplomaten noch für Händler oder Bittsteller. Wenn ihn seine Erinnerung an die Palastanlagen nicht trog, dann brachten sie ihn in die Kellerräume. Wer hatte denn seine Gemächer in den Kellerräumen? Niemand, soweit er wusste.
Einen Augenblick später waren sie drinnen und, tatsächlich, sie führten ihn hinunter, durch eine Reihe von Gängen und über verschiedene Treppen. Der Weg wurde immer düsterer, als sie den älteren Teil des Palastes betraten, das, was ursprünglich einmal der Bergfried gewesen war, und als sie um eine mit Backsteinen gemauerte Ecke bogen, begriff Hairstreak plötzlich, dass er nicht in die Kellerräume gebracht wurde, sondern in den Kerker.
Diese schwere Beleidigung raubte ihm fast den Atem. Ganz offensichtlich hatte irgendjemand nicht nur angeordnet, dass er festgenommen, sondern auch, dass er eingekerkert wurde. Und zwar nicht im Staatsgefängnis, sondern in irgendeinem heimlichen Verlies, wo er für den Rest seiner Tage verfaulen konnte, während die Welt sich mit all ihren Schlichen ohne ihn weiterdrehte. Es war so ungeheuerlich,dass er es kaum glauben konnte. In den alten Zeiten wäre so etwas nie passiert. Allein die Vorstellung hätte für Aufruhr im ganzen Elfenreich gesorgt. Aber diese Zeiten, so schien es, waren unwiderruflich dahin.
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