Elfenmeer: Roman (German Edition)
dies durfte ihren Verstand nicht vernebeln. Wenn sie tot wäre, würde ein Thronfolgekrieg ausbrechen, und selbst wenn sich die Elfen über einen Nachfolger einigten, würde dieser niemals die Magie aus Elvion verbannen, und so würden unweigerlich weitere Kriege folgen. Sie musste ihr Ziel erreichen, alles andere war unwichtig.
Vorsichtig spähte sie in den finsteren Gang hinaus, doch es war keine Bewegung zu vernehmen. Also rannte sie weiter und hörte plötzlich Stimmen, die hinter einer nur angelehnten Tür erschollen. Liadan wusste, dass sich dort die Kapitänskajüte befand, und einen Moment lang wollte sie einfach weiterlaufen, doch dann hielt sie inne und lehnte sich neben der Tür gegen die Wand. Wissen war Macht, und wenn sie erst die Pläne der Piraten kannte, könnte sie zielgerichteter handeln.
»Du wirst mich nicht davon abhalten, sie zu befreien!«, erkannte sie die Stimme des Feuerprinzen. »Du weißt, was Averon tun wird, um Antworten aus ihr herauszubekommen. Diese Qualle wollte schon immer wissen, wie er den Palasterreichen kann, und nun hat er Nayla in seiner Gewalt. Er wird alles tun, um sie zum Reden zu bringen, Koralle, alles !«
»Und wenn sie die Antworten bekommen, werden sie Nayla töten, Avree. Womöglich ist sie längst tot.«
Schweigen folgte, und Liadan dachte daran, wie lange Fürst Averon aus Riniel bereits versuchte, die Piraten zu vernichten. Es wunderte sie nicht, dass er ihr Leben riskierte, um sein Ziel zu erreichen. Denn der Feuerprinz hatte natürlich recht: Averon würde auch vor Folter nicht zurückschrecken.
»Wenn du gehst«, hörte sie die knarzende Stimme des Kobolds, »und in Riniel mit deinem Schiff ganz allein dastehst – dann wirst du nicht nur Nayla in den Tod begleiten, sondern auch deiner Mannschaft ein Ende bereiten.«
»Ich werde nicht mit meinem Schiff gehen«, erwiderte der Feuerprinz. »Sondern allein – ganz allein. Die Meerjungfrauen sollen mich an der Küste außerhalb der Netze an Land bringen, und dann schleiche ich mich in die Stadt. Ich werde Nayla dort herausholen.«
»Du wirst bei dem Versuch sterben«, sagte der Korallenfürst tonlos. Es war lediglich eine Feststellung.
»Ich werde sowieso sterben. Wenn sie Nayla umbringen, gehe ich gemäß meinem Schwur mit ihr, aber dann lasst mich wenigstens im Versuch, uns doch noch zu retten, von dieser Welt gehen.«
Erneut herrschte Stille, und Liadan ertappte sich dabei, Mitgefühl mit den Piraten zu empfinden. Der Feuerprinz kämpfte um seine Liebe und der Korallenfürst um seine Freiheit. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn nicht sehen konnte, doch plötzlich vernahm sie in seiner stets so ruhigen Stimme eine Traurigkeit, die sie bisher nicht bemerkt hatte. Er versuchte, seine Piraten zusammenzuhalten, doch dies war aussichtslos, das musste er doch wissen. Spätestens wenn Nayla eines natürlichenTodes gestorben wäre, hätte er zwei Kapitäne auf einen Schlag verloren. Nun kam dieses Ereignis einfach etwas früher.
»Wir brauchen dich, um die Rinieler zu besiegen«, sagte der Kobold deutlich aufgebracht, »ohne dich werden sie nicht nur uns, sondern auch den Palast kriegen. Wir haben schon ein Schiff verloren, und jetzt bist du plötzlich zum Märtyrer auserkoren? Wie sollen Koralle und ich allein gegen eine Flotte bestehen? Du kannst nicht einfach von uns gehen!«
»Ihr habt mein Schiff«, sagte der Feuerprinz, »Koralle soll einen Kapitän bestimmen, bis ich zurückkehre. Ich hätte es ja an Arn gegeben … Ihr habt mein Schiff, das ist alles, was ich im Moment für euch tun kann. Und wenn mein Plan glückt, gewinnt ihr auch Naylas Schiff zurück.«
»Und wenn er misslingt, stehen wir zu zweit gegen die Rinieler Flotte, die bis dahin bestimmt weiß, wie sie den Korallenpalast finden kann. Wir werden untergehen, Avree.« Dies waren die Worte des Korallenfürsten gewesen, und Liadan wunderte sich erneut, wie sehr sie beim Klang seiner Stimme die Verzweiflung spüren konnte. Bestimmt lag dies an ihrer Schwäche, die all den fürchterlichen Dingen, die ihr seit der Entführung zugestoßen waren, geschuldet war. Plötzlich sah sie erneut die Augen des sterbenden Elfen vor sich, und ihr Magen verkrampfte sich. Schnell versuchte sie, dieses Bild aus ihrem Kopf zu bekommen, und konzentrierte sich auf das Wichtige.
»Ich kann nicht anders«, sagte der Feuerprinz. »Ich erwarte nicht, dass ihr mich versteht, nur, dass ihr mich gehen lasst. Ich muss versuchen, sie zurückzuholen. Ich muss es
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