Elfenmeer: Roman (German Edition)
nur noch etwas länger durchhalten.
Außer Atem und unter Schmerzen kämpfte sie sich weiter, schwamm, Zug für Zug, doch ihr Kleid behinderte sie. Es war mit Wasser vollgesogen und schwer. Ohne es wäre sie viel schneller. Was zählte mehr? Davonzukommen oder ihre Würde? Ohne weiter darüber nachzudenken, riss Liadan sich das Kleid vom Leib, immer wieder schwappten Wellen über ihren Kopf, und Liadan japste gierig nach Luft, doch dann schaffte sie es endlich und befreite sich von dem hindernden Tuch.
Zu ihrer Überraschung fühlte es sich angenehm an, völlig unbekleidet im Wasser zu treiben und die Wellen überall auf der Haut zu spüren, aber um das Gefühl wirklich genießen zu können, war sie bereits zu schwach.
Sie musste weiter, und so kämpfte sie sich vorwärts. Ihre kurzzeitige Erleichterung beim Hinabsinken des Kleides verflog schnell, und die Schmerzen verdrängten jeden anderen Gedanken. Die Dunkelheit war nun geradezu vollkommen, nur die Sterne spendeten ein fahles Licht. Wo lag Norden? Schwamm sie noch in die richtige Richtung? Sie müsste die Insel doch längst erreicht haben.
Wasser schwappte in ihren Mund, und Liadan begann zu husten. Ihre Arme und Beine waren so schwer, ihre Lungen brannten, genauso wie ihre Augen, aber sie musste entkommen. Die Piraten wollten sie töten. Sie musste weiter.
Schwärze, Kälte, Schmerz – sie schien davon erfüllt zu sein, und irgendwann wusste sie nicht einmal mehr, ob sie ihre Arme und Beine noch bewegte. Das Bild des toten Elfen kam ihr in den Sinn. Sie sah seine Angst, eine Angst, die nun in ihr aufkeimte. Nein! Sie durfte nicht aufgeben, sie musste weiterschwimmen.
Die Sterne – sie musste sich nach den Sternen orientieren, aber wie? Welcher Stern zeigte ihr den Weg nach Norden?
Ihr gütigen Seelen , dachte sie und blickte hoch in den Himmel, nackt im schwarzen Meer treibend, leitet mich, zeigt mir den Weg, lasst mich nicht auf meiner Flucht ertrinken, gebt mir Kraft.
Eine weitere Welle schlug über ihr zusammen, und einen Moment lang wollte Liadan sich gar nicht mehr die Mühe machen, erneut aufzutauchen. Wieso war sie nur vom Schiff gesprungen? Sie hätte wissen müssen, dass es ihr nicht gelingen konnte. Sie hatte sich noch nie selbst retten müssen.
Nein! Mit letzter Willenskraft kämpfte sie sich zurück an die Oberfläche, nur um sofort von einer lähmenden Schwäche getroffen zu werden. Gierig atmete sie ein und fühlte sich doch nicht besser. Wo war die Küste? Wo war sie nur? Sie musste doch Lichter sehen! Die Wachen hatten bestimmt Fackeln am Strand entzündet. Wo waren die Lichter?
Plötzlich spürte Liadan einen Sog an ihren Beinen und blickte hinab. Natürlich konnte sie nichts erkennen, aber irgendetwas war da. Das Wasser … da war eine Strömung, die unnatürlich war.
Ein Schrei entfuhr ihr. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringenkonnte, schwamm sie gegen die Strömung. Dies durfte nicht geschehen! Sie musste entkommen. Wimmernd und keuchend kämpfte sie sich vorwärts, das Wasser spritzte ihr immer wieder ins Gesicht, brannte und rann ihre Kehle hinunter, aber sie hörte nicht auf. Sie musste aus seiner Reichweite gelangen, sie … Nach Luft schnappend fasste sie an ihren Hals. Der Kristall! Er war fort! Wann hatte sie ihn verloren? Wie? Ohne ihn war sie völlig machtlos!
Ein weiteres Wimmern entkam ihr, und sie dachte an all die armen Kreaturen auf den Inseln oder in den Minen. Sie sah die dürren Leiber, die geschundenen Knochen, die unter der aufgeschürften Haut hervortraten. Das verfilzte Haar, die aufgeblähten Bäuche der Hungerleidenden, die trüben Augen … Der Korallenfürst hatte ihr ein Fernrohr gegeben und darauf bestanden, dass sie sich alles genau ansah. Liadan hatte ihm gehorcht, um ihm zu beweisen, dass nichts sie aus der Ruhe bringen konnte, und sie hatte die Gelassenheit aufrechterhalten können – bis jetzt. Aber nun sah sie all das Leid wieder deutlich vor sich. Vielleicht hatte sie es verdient, dafür zu sterben. Aber sie musste doch die Elfen dieses Landes in Sicherheit wissen, musste für eine Welt des Friedens kämpfen.
Sie musste weiter, einfach weiter. Dies war nur Wasser, sie konnte es schaffen.
Etwas schlang sich um ihre Taille. Liadan schrie auf, versuchte sich zu befreien, doch da wurde sie herumgedreht.
»Nein!« Sie starrte in das Gesicht eines Piraten aus der Mannschaft des Korallenfürsten und versuchte zu entkommen, doch der Elf hielt sie unbarmherzig fest.
»Es hat keinen Zweck«,
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